Marie Lange – Eine Thüringer Mörderin (Altenburg, 1689, Langversion)

Im Dorf Fockendorf an der Pleiße in der Nähe von Altenburg, unfern der Leipziger Straße, befand sich eine alte Mehlmühle, die nachweislich seit 1450, und wahrscheinlich noch länger der Familie Lange gehörte und von ihr benutzt wurde. Thomas Lange, ihr Besitzer am Ende des 17. Jahrhunderts, verheiratete sich 1675, indem er sein Weib Marie ebenfalls aus einer alten, ehrbaren und angesehenen Bauernfamilie des Altenburger Landes nahm.

Während des Verlöbnisses entfiel der Braut ein Taler vom Verlöbnisgeld, was alle Anwesenden sehr erschreckte, und von ihnen als ein böses Zeichen aufgenommen wurde. Der Taler hatte nur zu wahr gesprochen. Die Ehe war nicht glücklich, das Hauswesen ging nicht recht vor sich. (…)

Am Abend des Tages Marie Heimsuchung, nachdem der Nachmittagsgottesdienst zu Ende war, stand Thomas Lange noch eine Weile vor der Dorfschenke und schlenderte dann langsam nach Hause. Er ordnete hier noch an, wie anderen Tags das Holz aus der Leine abgeholt werden solle, aß in der unteren Wohnstube mit seinen Kindern und dem Gesinde zu Nacht, zog sich am Ofen Oberrock, Schuhe und Strümpfe aus, und sagte dann, er wolle zu Bett gehen, sie sollten sich auch bald fortmachen und das Licht auslöschen, da nicht mehr viel Öl vorhanden sei, und sich aufs Ohr legen.

Zunächst folgte ihm die Müllerin, dann die Magd und das Kindermädchen, die sich in das untere Nebenstübchen zu den fünf Kindern schlafen legte.

Am anderen Morgen, es war Mittwoch, der 3. Juli, standen die Hausfrau und das Gesinde zu rechter Zeit auf, und jeder ging an seine gewohnte Arbeit. Der Pferdeknecht sollte Mehl ins benachbarte Dorf Treben fahren, war aber allein der Säcke nicht mächtig. Er rief der Müllerin, ihm beizustehen. Diese aber meinte, das sei nicht ihre Sache, und heißt der Kindermagd, sie solle gehen, den Meister rufen und suchen. Er werde wohl, seiner lieben Gewohnheit nach, noch auf dem Heu liegen.

Das Mädchen suchte vergebens im Heuschuppen und Pferdestall und erhielt auch auf ihr Rufen durch das ganze Haus keine Antwort. Schließlich stürzte sie aus der Geschirrkammer heraus und schrie: der Meister hat sich erhenkt. Die Müllerin und die Übrigen liefen hinauf und fanden wirklich Thomas Lange in der Geschirrkammer aufgeknüpft. Er hing im Hemd an einem in die Wand geschlagenen Nagel. Sofort wurde Lärm gemacht. (…)

Auf der linken Seite, unweit der Kehle fanden sich zwei ziemlich schwarzbraune Flecken. Am übrigen Körper, nachdem er vollständig entblößt wurde, entdeckten die Gerichtspersonen auf dem Rückgrad sechs kleine Flecklein oder Läschchen, wo die Haut ganz weg war. Sie waren aber weder blutig noch braun. Auch war der übrige Oberleib ganz weiß und unversehrt. Der untere Leib aber und die Beine waren vom heruntergetretenen Blut ganz braun. Auch lief etwas Geblüt aus dem Mund des Erhenkten, wie es sich bei allen durch Strangulation Umgekommenen findet. (…)

Auch der Bruder des Toten und mehrere andere Personen meinten nichts anderes und hegten keinen anderen Verdacht. Das Gericht verordnete daher, daß der Körper, als der eines Selbstmörders, durch den Kaviller (Abdecker) vom Strang geschnitten werde. Das fürstliche Konsistorium aber verordnete, daß er zwar an einem abgesonderten Ort auf dem Gottesacker zu Treben begraben werde, weil er vom Pfarrer und dem Kirchspiel, seines geführten Lebenswandels wegen, ein gutes Lob erhalten hatte, jedoch ohne Sang und Klang.
Die Bestattung des Müllers war längst geschehen, als man im fürstlichen Amt anderen Gedanken Raum gab. Man vernahm verschiedene Personen über vorangehende und spätere Vorfälle und es stellten sich folgende verdächtige Indizien heraus:
1) Das üble Verhältnis zwischen dem Müller und seiner Frau während ihres ganzen Ehestandes.
2) Die Müllerin stand mehr als im Verdacht, mit allen Mühlknappen immer in sehr vertrautem Verhältnis gestanden zu haben. Der Mann hatte unverholen sein Mißvergnügen darüber geäußert usw.(…)

Mit Martin Müller, der Ostern vor zwei Jahren in die Mühle kam, fand die erste Vertraulichkeit ein Vierteljahr nach seinem Anzug statt. (…)

Es scheint, daß es die Frau war, die ihn vorläufig auf andere Gedanken brachte. In der Mandelkammer wurde der Ehebruch zuerst zwischen ihnen begangen, später aber fast unzählige Mal in des Müllers Ehebett. Für das erste Mal hatte ihr der Müllerknappe Geld zu einem Pelze spendiert. Später aber geschah es immer unter den Wünschen, daß doch der Müller ein Mal sterben möchte.

Als der Müller aber nun nicht sterben wollte, zog Martin Müller um Weihnachten 1688 ab. Weshalb sagt die Kriminalakte nicht. Der Meister hatte ihn ein Mal in verdächtiger Conversation in der Mandelkammer mit ihr angetroffen, aber nichts weiter zu ihnen gesagt, als was sie da machten. Martin verdung sich als Knappe in der Mühle zu Wolfftitz, dann in der zu Regis.

Während dieser Zeit hatten sie, da sie getrennt waren, nicht den Vorsatz, den Müller Thomas Lange umzubringen. Aber da wollte es der Zufall, oder wer sonst, daß sie beide am 29. Juni, Sonnabend vor Marie Heimsuchung, sich in Altenburg treffen mußten. Martin Müller war seiner alten Mutter halber von Langen-Leube, die Müllerin aber, um einige Schweine zu verkaufen, in die Stadt gekommen. Sie trafen sich in einem Bierhaus und gingen dann in den Ratsweinkeller.

Hier scheint abermals die Müllerin angefangen zu haben. Sie beklagte sich über ihren Mann, daß er sie übel halte und dem Hauswesen nicht vorstehe. Der Martin aber klagte, daß er gern freien möchte und doch nicht wisse, wie es der Müllerin wegen werden würde. Nachdem sie nun so klagte, machte Martin Müller den Vorschlag, daß sie den Müller Thomas Lange, weil er fest schliefe, in seinem Bette erwürgen, und, als wenn er sich selbst erhenkt hätte, hinhängen wollten.

Die Müllerin, heißt es, hätte alsbald eingewilligt.(…)

Die Nacht des 2. Juli rückte näher. Als Thomas Lange schon zu Bette war, harrte Martin Müller wieder um zehn Uhr im Kleingarten. Die Müllerin kam, benachrichtigte ihn, wie gut alles stände, und sie wurden nochmals miteinander eins, daß sie den Mord vollbringen wollten. Die Müllerin hatte das Eindeckelband zu Wege gelegt, Martin Müller aber hatte einen Strick mitgebracht. Diesem gab man bei der Prüfung den Vorzug. Der in Altenburg gekaufte neue Strick scheint also verworfen worden zu sein. Mit dem Strick des Knappen ging die Müllerin in die Kammer hinauf, zog sich aus, legte sich zu ihrem Mann ins Bett und überzeugte sich, daß er auch fest schliefe. Er schlief fest.

Sie huschte wieder aus dem Bett heraus, warf sich den Pelz um, und schlich zu ihrem Geliebten hinunter. Da versprachen sie sich unten im Garten nochmals heilig die ehe, und bereiteten sich im Namen Gottes auf den Mord vor. Leise schlichen sie hinauf. Martin blieb vor der Kammertür stehen, bis sich die Müllerin wieder ins Bett gelegt hatte.

Sie lag auf seiner linken Seite. Dann fuhr se vorsichtig mit dem rechten Arm, in welchem sie das eine Ende des Strickes hielt, ihrem Mann unter dem Hals oder Nacken durch. Er regte sich, von der Berührung halb geweckt, ein wenig. Da umfaßte sie ihn, wie aus ehelicher Liebe und zog dabei den Arm wieder zurück, aber der Strick blieb durchgeschlungen. Er war wieder fest eingeschlafen.

Jetzt zog sie beide Strickenden über dem Hals zu einer Schleife zusammen. Im gleichen Augenblick trat auch Martin Müller in die Kammer. Jeder von ihnen ergriff ein Ende des Strickes. Sie zogen mit aller Kraft. Davon starb der Müller, ohne einiges Zucken, außer daß er sich in den Seiten ein Weniges aufgeblähet. Nur ein paar Tröpflein Blut waren auf die Pfülziechen gefallen. Sie wußten nicht, ob aus dem Mund oder der Nase. Aus Vorsicht zog die Frau die Ziechen alsbald ab.

Nach dem Mord gingen beide in die Küche, um Licht anzuzünden. Fürchtete sich der eine zurückzubleiben? Dann, nach oben zurückgekehrt, faßten beide die Leiche an, die Frau an den Beinen, der Knappe hinten am Kopf und schleppten sie, die Frau voraus, aus dem Bett und der Kammer, über das etwa neun Schritt lange Gänglein, zur Geschirrkammer, wo sie die Leiche anfangs auf eine Lehnbank setzten.

Obwohl sie ziemlich genau geplant hatten, wie sie der Tat einen anderen Schein geben könnten, hatten sie das Einfachste und Nötigste vergessen ? den Nagel, an den der Körper gehängt werden sollte! Martin mußte erst die eiserne Zimmermannsklammer mit einer Axt in die Wand einschlagen. Auch von diesem Getöse, welches das ganze Haus erschüttern mußte, erwachte niemand! Sie waren ohne Sorgen bei ihrem schwarzen werk. Der Körper wurde aufgehängt, die Hosen und Mütze nachgeholt und auf die Erde geworfen. An eine, dem Körper sonst beigebrachte Gewalt konnten beide Missetäter sich nicht erinnern, vermuteten aber, daß die Läschen wohl beim Hinüberschleppen an der hohen Türschwelle oder beim Aufhängen an der hohen Lehnbank entstanden wären.

Wir stoßen noch auf einen kannibalischen Zug, der aber nur die alte Wahrheit bestätigt, die Feuerbach bei mehreren Fällen (u. a. bei Andreas Bichel, den Mädchenschlitzer) mit seiner psychologischen Divinationsgabe ins hellste Licht setzt, daß Grausamkeit und Blutdurst mit der Wollust aufs Innigste verschwistert sind.

Die Mörder statt sich mit Entsetzen anzublicken, statt aufs Schleunigste von der Mordstätte zu fliehen, gingen in die Kammer zurück, um ? ihrer Lust zu fröhnen. Doch scheint wenigstens ein Grauen, eine Scheu in ihnen obwaltet zu haben. Sie mieden das vielleicht noch warme Bett, an dem der Todesschweiß und die Blutstropfen ihres Opfers klebten, sie vollzogen den Ehebruch, wie es in der Druckschrift heißt, auf einem am Fuß des Bettes stehenden Kasten. Dann verabredeten sie sich, wie man am Morgen zu verfahren habe.

Die Müllerin sollte das Kindermädchen rufen, nach ihrem Mann zu suchen, der gewiß aus Faulheit im Heu schlafen werde. Erst zuletzt sollte is ein der Geschirrkammer suchen und dann sei es ein Leichtes, wenn die Magd mit den Worten ?Der Meister hat sich erhenkt!? herunterstürze, dies allen im Dorf glaubhaft zu machen. Einige Tage später sollte Martin Müller wieder als Müllerknappe bei ihr eintreten. Dann wollten sie sich nach einiger Zeit heiraten, und Martin die Mühle übernehmen. So trennten sie sich nach Mitternacht.

Wie bereitwillig die Verbrecherin auch ihr Geständnis ablegte, und nirgends mit der Wahrheit zurückhielt, wurde es doch zuerst schwer, sie von ihrem Unrecht zu überzeugen. Denn, sagte sie, ihr Mann habe zu Übel an ihr gehandelt, und immer auf sie geflucht. Deshalb habe sie an ihm nicht unrecht, sondern wie an einem Vieh gehandelt. Erst später ging sie, so wie ihr Mitschuldiger, in vollständiger Reue und Zerknirschung über.(…)

Trotz dieser wesentlichen Bedenken ging aber die Rückfrage an den Schöppenstuhl nur dahin, ob Marie Lange nach der Exekution zu begraben und ob Martin Müller auf das Rad geflochten werden solle oder nicht. Worauf die Antwort erfolgte, daß sehr wohl nach Römischem Recht die Gattenmörderinnen gesäckt und ihnen dann kein Begräbnis vergönnt wird, dazumal die Strafe noch deshalb erhöht wird, daß man in den Sack lebendige Tiere steckt. So müsse man es doch billig nach den hiesigen Landesgewohnheiten dabei belassen, daß wenn keine Tiere in den Sack gesteckt würden, der ertränkte Körper abends wieder aus dem Wasser gezogen und durch den Scharfrichter unter dem Gericht verscharrt werden dürfe. Was Martin Müller betreffe, so verstehe es sich von selbst, daß wenn einer zum Rad verurteilt wird, auch seine Glieder auf das Rad geflochten werden müßten.(…)

Ungeachtet einiger Einwände wurde der Prozeß so schnell geführt, daß die Hinrichtung schon am 17. August 1689 stattfand.


Dieser Fall wurde nicht nur von Willibald Alexis nach den Akten bearbeitet, sondern findet sich auch in unserem Band „Mörder, Räuber, Menschenfresser“. Hier ist auch ein sehr schöner Kupferstich abgebildet, der die furchtbare Tat illustriert. Für Kriminalia-Freunde haben wir noch ein paar Exemplare der Hardcover-Ausgabe im Lager… Wenden Sie sich einfach persönlich an mich: info@verlag-kirchschlager.de.
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