Fallbeile in LKW? Ein Kommentar von Wolfgang Krüger

Den BILD-Artikel vom 15. März 1977 darf man getrost unter „Märchen“ ablegen. Wer weiß, wie viel Alkohol der „ehemalige Häftling von drüben“ konsumiert oder wieviel ihm das „Volksbildungsblatt“ für seine abenteuerliche Geschichte gezahlt hat!

Der Mörder Ralf (nicht Rolf) Albert ist verbürgt. Er wurde am 14. Februar 1966 vom Bezirksgericht Dresden wegen Raubmordes zum Tode verurteilt und am 8. Juli 1966 in der Strafvollzugsanstalt in Leipzig mit dem Fallbeilgerät hingerichtet. Seit 1960 diente das Leipziger Gefängnis als zentrale Hinrichtungsstätte der DDR und löste damit Dresden als alleinige Richtstätte für Enthauptungen ab.

Daß Hinrichtungen mit einem Fallbeil im fahrenden Lastwagen vollzogen worden sein sollen, ist völlig absurd. Warum sollten die Justizbehörden diesen irrsinnigen Aufwand betrieben haben, wenn Leipzig zur alleinigen Richtstätte bestimmt worden war?

Und noch etwas anderes macht stutzig:

In diesen 270 Tagen wurden etwa 18 bis 20 Menschen geköpft.“ In einem Dreivierteljahr 20 Hinrichtungen? So blutrünstig war die DDR nun auch wieder nicht! Die jährliche Hinrichtungsrate betrug in den 1960er Jahren 3,8 (bei 38 Vollstreckungen). Und: verurteilte Mörder warteten in der Regel ein halbes Jahr oder länger auf ihre Hinrichtung, ein Berufungsverfahren samt anschließender Gnadeninstanz konnte nicht in einem Monat bewältigt werden!

Meistens sind es Mörder, die unter dem Fallbeil sterben“, schrieb BILD im Jahre 1977. Dabei war es wohl der Märchenredaktion der BILD unbekannt, daß die DDR bereits im Juli 1968 ein neues Strafgesetzbuch einführte, in dem die Vollstreckung der Todesstrafe nach sowjetischem Vorbild (Genickschuß) vorgeschrieben war und das Fallbeil nicht mehr benötigt wurde. Seit 1968 war das Erschießen die alleinige Hinrichtungsmethode im SED-Staat. Und: im Jahr des BILD-Artikels (1977) gab es keine einzige Hinrichtung!

Bei den erwähnten Delinquenten Rolf Czepernick und Paul Peisker handelt es sich um Ernst Zepernick (enthauptet in Leipzig am 19. April 1967) und Lothar Peisker (enthauptet in Leipzig am 11. August 1967). Beide wurden vom Bezirksgericht Gera zum Tode verurteilt.

Ein weiterer „Höhepunkt“ des BILD-Artikels: „Neuerdings hat das DDR-Regime auch eine feste Hinrichtungsstätte in Torgau gebaut. Es ist eine Halle, die Verurteilten werden erschossen.“ Was soll die Faszination mit Torgau? Es gab in der DDR-Zeit weder Todeszellen in Torgau noch wurden dort Hinrichtungen vollzogen. Alle Erschießungen fanden seit 1968 in der zentralen Richtstätte in Leipzig statt.

Man muß BILD zugute halten, daß die Zeitung 1977 noch weitgehend im Dunkeln tappte, was die Todesstrafe in der DDR anbelangte. Sie verließ sich auf abenteuerliche Gerüchte, die sie nicht überprüfen konnte. Heute, 22 Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD, wissen wir es dank der Birthler-Unterlagen, mehrerer im SPIEGEL und anderen Periodika erschienener Beiträge und verschiedener Websites besser.

Wolfgang Krüger

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