Die Weißen Frauen – ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Aberglaubens

Geheimnisvoll und fast schon mit einer gewissen morbiden Erotik umgeben wirken die Weißen Frauen auf uns, deren Überlieferungen sich in ganz Thüringen finden. Die berühmteste Weiße Thüringerin aber ist zweifellos die Gräfin Kunigunde von Orlamünde. Einst, so erzählt es Kaspar Brusch in seiner 1552 erschienenen Chronologia Monasteriorum Germaniae praecipuorum, verliebte sich die Burgherrin von der Plassenburg über Kulmbach, Kunigunde, die Witwe des Grafen Otto von Orlamünde, in den Burggrafen von Nürnberg, Albrecht den Schönen. Der Auserwählte ließ verbreiten, er würde sie heiraten, wenn nicht vier Augen im Wege stünden, womit der Burggraf seine Eltern meinte, die die Verbindung ablehnten. Die schöne Witwe Kunigunde verstand jedoch die Nachricht falsch und bezog sie auf ihre beiden kleinen Kinder, ein Mädchen von zwei und einen Jungen von drei Jahren.

Um die Liebe Albrechts zu gewinnen, stach sie ihren Kindern mit einer Nadel in den Kopf und tötete sie.

Nach Bekanntwerden der grausamen Tat sagte sich Albrecht von ihr los. Um die Vergebung ihrer Sünden zu erlangen, unternahm die mit dem Kindesmord Beladene eine Pilgerfahrt nach Rom, erlangte vom Papst die Vergebung, mit der Auflage, ein Kloster zu stiften und dort einzutreten. Zur Buße rutschte sie auf den Knien von der Plassenburg in das Tal von Berneck und gründete das Kloster Himmelkron. Hier soll sie als Äbtissin gestorben sein. Fortan erschien sie als Weiße Frau, um den Hohenzollern, Nachkommen Albrechts des Schönen, kommende Todesfälle und anderes bevorstehendes Unglück anzuzeigen. Kaspar Brusch will die beiden Kindergräber noch gesehen haben.

Am häufigsten hausen sie in Bergen, Burgruinen, Kellern usw. Oft haben sie einen Bund Schlüssel am Gürtel, der auf die im erdinneren verborgenen, von ihnen bewahrten und unter Umständen zu erschließenden Schätze hindeutet. Sie lassen sich am Mittag bei hellem Sonnenschein und um Mitternacht sehen. Die Weiße Frau gilt meist als trauernde verwunschene Prinzessin, die sich nach Erlösung sehnt, manchmal Hirten und andere, meist junge Männer und unschuldige Kinder, um Erlösung bittet und große Schätze verheißt. Diese Erlösung ist aber nicht gerade leicht, obwohl sie meist nur in dreimaligem Küssen besteht.

Die Weiße Frau auf dem Schloß zu Rudolstadt

Wenden wir uns abschließend der Weißen Frau der Hohenzollern zu, die Prinz Louis Ferdinand von Preußen (1772-1806), einem Neffen Friedrichs des Großen, der am 10. Oktober 1806 in dem für die Preußen fatalen Gefecht bei Saalfeld fiel, am Vorabend der Schlacht im Schloß zu Rudolstadt erlebt hat. Diese für Thüringens Sagenschatz so bedeutsame Geschichte, entspringt der Selbstbiographie seines Adjutanten, Graf Karl von Nostitz (1781-1838).1

Versetzen wir uns jetzt wieder in den Abend vor der Schlacht bei Saalfeld zurück und dringen in einen der Säle des Schlosses von Rudolstadt ein. Alle Offiziere des Generalstabes waren dort versammelt, eine Tafel war gedeckt, man erwartete die Rückkehr des Prinzen, der am Morgen fortgeritten war, um die neuesten Befehle des Herzogs von Braunschweig entgegenzunehmen. Unsere Ungeduld war um so lebhafter, als der Prinz entscheidende Nachrichten mitbringen mußte und da jeder von uns die Untätigkeit satt hatte, die seit mehreren Monaten andauerte. … Wir zählten die Stunden, die Minuten mit der lebhaftesten Ungeduld. Um acht Uhr verkündete uns das Geräusch der Schritte mehrerer Pferde die Ankunft Seiner Hoheit…

Zu Tisch, meine Herren“, sagte der Prinz zu uns, „mich verschlingt der Hunger. Ich habe Ihnen eine Nachricht zu verkünden, von der Sie entzückt sein werden. Danken wir Gott, morgen beginnen die Feindseligkeiten, und wir werden die Ehre haben, die ersten Kanonenschüsse mit den Franzosen auszutauschen.“

Man nahm Platz um die Tafel, die sich bald mit Flaschen bedeckte, deren überperlender Schaum ihr respektables Alter verriet. Zahlreiche Toaste wurden mit Begeisterung gehalten. Niemand in unserem tapferen Heere wurde vergessen. (…)

Die Unterhaltung war lebhafter, angefeuerter als gewöhnlich, und man las auf jedem Gesicht ein Gefühl von Glück, eingegeben durch die Gewißheit, daß man endlich teilnehmen werde an diesem großen Drama, das sich vor den Augen der Welt aufrollte. Die beiden zauberhaften Worte: Ruhm und Vaterland entflammten alle Herzen, fanden sich auf allen Lippen wieder.

Der Prinz war sehr fröhlich, seine gute Laune offenbarte sich durcheinige Geistesfunken, die der Feinheit seines Geistes entschlüpften. Von Zeit zu Zeit näherte er sich dem Piano und rückte einige melodieuse Akkorde darauf aus.

Ich war an seiner Seite; er sagte zu wiederholten Malen zu mir: „Lieber Nostitz! Wie glücklich ich in diesem Augenblick bin! Endlich lichtet unser Schiff die Anker, der Wind weht frisch, die Segel schwellen, – glauben Sie mir, es wird in den Hafen zurückkehren, ein wenig zugerichtet vielleicht, aber triumphierend.“ – In diesem Augenblick schlug die Schloßuhr Mitternacht. Mit dem zwölften Schlag geschah eine sonderbare Veränderung mit der Person des Prinzen. Sein schönes Gesicht erbleichte seltsam, seine über die Tasten des Klaviers gleitenden Finger wurden steif, wie gekrampft; er fährt mit der Hand über die Augen, wendet sich zu mir, der diesem Zwischenfall mit Befremden zusah, und, mit einer raschen Bewegung eineKerze ergreifend, stürzt er auf die Tür zu und verschwindet.

Die Gäste, mit einer Unterhaltung beschäftigt, an der jeder teilnahm, bemerkten dieses plötzliche Verschwinden nicht. Ich aber, der einen Augenblick vorher mit dem Prinzen gesprochen hatte, ich suchte mir vergebnes zu erklären, was vor meinen Augen geschehen war. Dieses Geheimnis mußte aufgeklärt werden.

Eilends den Schritten des Prinzen folgend, stürzte ich mich auf die Tür zu, durch die er verschwunden war. Sie führte auf einen langen Korridor, der als Ausgang nur eine Seitentür hatte, die in den Schloßhof hinausging. Da sah ich den Prinzen, der, die flackernde Kerze in der Hand haltend, mit ruckweisen Schritten, einer in einen Schleier von auffallender Weiße gehüllten menschlichen Gestalt folgte. Dieses phantastische Wesen entfernte sich, ohne furchtvolle Hast zu zeigen: am gegenüberliegenden äußersten Ende der Galerie angekommen, verschwand die Erscheinung.

Es gab, das wußte ich, keine Tür an dieser Seite. Dieses geheimnisvolle Verschwinden setzte mich in Erstaunen. Der Prinz aber warf die Kerze auf die Erde und begann zu untersuchen, ob eine geheimnisvolle Tür an dieser Stelle angebracht sei. Er ließ seine Hände über die Mauer gleiten, schlug dagegen, um sich zu versichern, ob der Schlag nicht die Existenz einer dieser geheimnisvollen Ausgänge verriete, die in alten Schlössern so häufig sind, aber nichts… nichts!

Da näherte ich mich, um ihm bei seiner Untersuchung zu helfen. Bei meinem Anblick zitterte er: „Nostitz! Hast Du gesehen?“ – „Ja“, antwortete ich mit der größten Kaltblütigkeit, ich habe eine ganz in Weiß gekleidete Frau gesehen, die Eure Hoheit…!“

Er ließ mir nicht Zeit zu beenden. „Es ist also kein Traum! Ja, ich habe sie gesehen, … es ist die Weiße Frau…!“

Ich wollte mich überzeugen, ob ich nicht ebenso wie der Prinz unter dem Einfluß einer Illusion gestanden hätte, und lief zur Wache, um mich zu informieren, ob jemand seit einer Viertelstunde hereingekommen sei.

Ich habe“, antwortete der Soldat, „einen mit einem weißen Mantel umhüllten Mann gesehen. Habe ich Unrecht getan, ihn vorbei zu lassen? Ich hatte keine Instruktion, Offiziere anzuhalten, und den, der hereinkam, habe ich, nach seinem Weißen Mantel, für einen sächsischen Offizier gehalten.“

Kein Zweifel mehr, es war eine Wirklichkeit. Der Prinz, der mit Ungeduld die Antwort des Postens erwartete, hatte seine Kaltblütigkeit wiedergewonnen.

Schweigen …“ sagte er zu mir, „Schweigen auf ewig“…! Und er betrat den Saal wieder, ohne irgend jemandes Aufmerksamkeit zu erregen.

Einige Gäste hatten unsere plötzliche Abwesenheit wohl bemerkt, aber in eine lebhafte Unterhaltung verwickelt, hielten sie sich bei diesem Umstand nicht auf und keiner bemerkte die Nachdenklichkeit, die das Gesicht des Prinzen in diesem Augenblicke ausdrückte.

Am folgenden Morgen war der Prinz mit Tagesanbruch zu Pferde: man konnte auf den ersten Blick glauben, die peinlichen Erinnerungen des vorhergehenden Abends seien aus seinem Gedächtnis ganz verschwunden. Für die, denen das Geheimnis der Nacht unbekannt war, hatte er seine gewöhnliche Haltung. Mir aber war es nicht schwer zu verstehen, daß, trotz aller Anstrengungen, die er machte, um heiter zu erscheinen, seine Seele die Beute eines peinlichen Zustandes war. Wenn auch sein Lächeln eine ruhige Sicherheit atmete, war doch seine Stirn nachdenklich und sein etwas trüber Blick zeugte davon, daß er eine Nacht verbracht hatte, die die Todesangst heimgesucht hatte.

Der Prinz wollte jedem üblen Eindruck zuvorkommen, – er setzte sein Pferd in Galopp. Begeisterte Hochrufe empfingen ihn in dem Augenblick, da er die Bataillone und Eskadrone überholte, die sich in Schlachtlinie aufstellten…

Der Prinz nahm seinen Standort in der Nähe der Chasseure (Jäger zu Fuß), um die Bewegungen des Feindes zu beobachten, den man, in einige Detachements eingeteilt, auf den bewaldeten Höhen der Umgebung erkennen konnte. Bis dahin war kein Schuß gefallen.

Prinz Louis war mit jenem Elan empfangen worden, der von de Hingabe der Truppen an den zeugt, den sie des Kommandos würdig halten, aber die Tränen und das Schluchzen einiger Frauen, die am Wege standen, kontrastierte mit dem Jubel, der unsere tapferen Soldaten anfeuerte.

Frauen! Weint nicht“, sagten die einen, „sollte man nicht meinen, wenn man Eure Jeremiaden hört, wir gingen zu einem Begräbnis?“

Eure Tränen werden den Weg aufweichen“, fügte ein anderer hinzu, „wir haben genug solches Wasser.“

Ungeduldig, sich an der Spitze dieser Truppen zu sehen, stachelte der Prinz sein Pferd an. Ich folgte ihm unmittelbar. Plötzlich bemerkte ich am Rand des Weges eine Frau von sonderbarem Aussehen. Sie saß auf einem Rasenhügel und verbarg ihr Gesicht unter einem weißen Schleier, der ihre Züge den Blicken verbarg. Wie ihre Begleiterinnen schien sie vom Schmerz erstickt; und ich hörte das Geräusch ihres Schluchzens.

Nichts Außergewöhnliches daran! War es erstaunlich, daß eine Frau, eine Mutter ohne Zweifel, Tränen vergoß, als sie soviel junge Menschen zum Kampf marschieren sah, voller Leben und Gesundheit, die in einigen Augeblicken nur noch verstümmelte Leichname sein Würden? Aber wir groß war mein erstaunen, als der Prinz sein Pferd hastig anhielt, sich zu mir umwandte, und ruckweise hervorstieß: „Nostitz! Wieder diese Frau! Die Weiße Frau verfolgt mich!“

Dann, im selben Augenblicke, jagte er im Galopp mit seinem Pferde vorwärts, wie um sich der Macht dieses geheimnisvollen Wesens zu entziehen, das ihn so tief ergriffen hatte. Es war mir unmöglich, n diesem Augenblick zu versuchen, das neue Geheimnis zu durchdringen: Die Suite des Prinzen, die ein wenig zurückgeblieben war, stieß zu uns und mein Pferd, aufgestachelt durch die Bewegung rundherum, zeigte sich unlenksam im Gebiß und trug mich nach vorn. Es gelang mir jedoch, es zu besänftigen, ich kehrte zurück und stürzte mich mit hängendem Zügel auf die Stelle zu, wo ich, ganz in weiße Schleier gehüllt, das lebende Rätsel gesehen hatte, das mir wie eine Frau erschienen war.

Aber ich suchte es dort vergebens; der Hügel, auf dem ich sie einige Augenblicke vorher gesehen hatte, war noch immer da, aber verlassen. Ich näherte mich den Soldaten, um einige Erklärungen von ihnen zu erlangen.

Man hat ziemlich viel solche Weinenden gesehen“, antwortete einer von ihnen auf meine erste Frage. – „Hast Du eine Frau mit einem großen weißen Schleier gesehen?“

Ja, Lieutnant, sie hatte sich keine großen Toiletten-Unkosten gemacht, sie kam sicher aus dem Bett, und hat sich mit einem Laken begnügt, um ihre Reize zu verbergen. Sonderbare Frau! Sie ist nicht mehr da …, man weiß nicht, wie sie verschwunden ist … wahrscheinlich schämt sie sich ihres Nachtkleides!“

Das ist alles was ich erfahren konnte. Ich bewahrte Schweigen. In Gedanken versunken, fragte ich mich, ob ich nicht jene weiße Frau, jene phantastische Gräfin von Orlamünde vor Augen gehabt, die nach einer alten Sage den Gliedern des Hauses Hohenzollern erscheinen soll, jedesmal wenn einem von ihnen ein Unglück zustoßen wird. Ich kehrte zum Prinzen zurück, der meine Abwesenheit bemerkt hatte; da er aus der Bewegung meiner Züge erriet, daß ich das Geheimnis nicht hatte aufklären können, sah er mir fest in die Augen, legte einen Finger auf den Mund und sagte: „Schweigen!““ So weit die Erzählung des Grafen Nostitz.

Tatsächlich starb der hoffnungsvolle preußische Prinz Louis Ferdinand noch an diesem Tag, getroffen von einer französischen Kugel.

Ein Zeitgenosse des Prinzen, General Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777-1837), zeichnet von ihm in seinen Memoiren ein interessantes Bild und gibt uns einen entscheidenden Hinweis auf einen Lösungsansatz des Rätsels: „Er strengte sich an bei den ermüdendsten und gefährlichsten Jagden, bei den angreifendsten Ritten und vergnügte sich dann mit Freunden, die zahlreich zuströmten – wie in solchen Fällen immer – an der Tafel und mit den Mädchen. … Dies alles möchte noch hingehen, aber bei dieser allseitigen Anspannung seiner Kräfte ergab er sich dem Trunk. Im Jahr 1806 trank er nichts anderes als Champagner und fing damit an, sowie er aufstand, so daß er vormittag gewiß schon mit sechs Bouteillen fertig war und den Tag über ein Dutzend nicht hinreichte. Dabei war aber auch nicht die leiseste Spur von Trunkenheit jemals an ihm zu merken, noch war seine Körperschönheit und sein blühendes Aussehen im Mindesten gewichen. Wahrscheinlich würden Krankheit und Schwäche ganz plötzlich hereingebrochen sein, wenn er länger gelebt hätte.“

Sollte der Prinz, wenn nicht von einer Schönen im weißen Schleier gefangen, von seinen Gehirnspinsten, befördert durch Alkoholkunsum und höchste körperliche Anstrengung, gefangen sein? Denken wir an Alexander den Großen, den man vergiftet haben soll, ein Gerücht was sich lange hielt, aber doch eher einer nüchternen Wahrheit weichen muß, denn Alexander starb an Entkräftung hervorgerufen durch übermäßigen Alkoholgenuß und körperliche Anstrengungen. Wahnsinnsvisionen könnten auch den Prinzen von Preußen geplagt haben …

1 Nach Martin Waehler: Die Weiße Frau. Vom Glauben des Volkes an den lebenden Leichnam. Erfurt 1931, S. 14-20.

Der Text folgt dem Original in Hexe / Werwolf und Vampir – Mystische Sagen und Legenden aus Thüringen von M. Kirchschlager

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Rechtsgeschichte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.