Die Selbstkreuzigung des Matteo Lovat (1805)

Der venezianische Arzt Cesare Ruggiere (1768-1828) berichtet in einer kleinen Schrift (Rudolstadt 1807) über die Selbstkreuzigung des Matteo Lovat, auch Matteo von Casale genannt, zu Venedig am 19. Juli 1805.

Die Selbstkreuzigung, d. h. der tatsächliche Nachvollzug jener antiken Hinrichtungsart, durch die der historische Jesus zu Tode gebracht wurde, ist in der Geschichte des Christentums die Ausnahme, anders als die Geißelung, die als Mittel klösterlicher Askese und der Laienfrömmigkeit durch zwei Jahrtausende hindurch wechselnde Popularität genoß. Cesare Ruggieri war zufällig in der Nähe der Calle delle muneghe, als sich der 47jährige Matteo Lovat selbst kreuzigte. Der Arzt traf nach dessen Notversorgung durch einen Wundarzt (Fußbad, herzstärkendes Mittel) bei ihm ein, fand ihn im Schock und kaum kommunikationsfähig und ließ ihn (mit Genehmigung der anwesenden Polizeidirektors von Cannaregio) von S. Alvise ins Hospital SS. Giovanni e Paolo rudern.
Matteo Lovats Behandlung bestand aus Pflege der Wunden, einer Diät, der Versorgung mit Medikamenten und aufbauenden Gesprächen. Ruggieri vermutete, Lovat leide an Pellagra. Die Pellagra ist eine ernährungsbedingte Störung, verursacht durch Mangel an Niacin (Vitamin B3) oder seiner Vorstufe (Tryptophan), die hauptsächlich in Asien und Afrika auftritt und durch ungenügende Ernährung verursacht wird. Die Krankheit ist gekennzeichnet durch Dermatitis, gastrointestinale Symptome (Diarrhoe) und neuropsychiatrische Störungen (Demenz). Sie ist ohne korrekte Behandlung lebensbedrohlich.

Matteo Lovat, der Priester werden wollte, aber nur Schuhmacher wurde, nahm im Juli 1802 an sich mittels eines scharfen Schuhmacherinstruments eine allgemeine gänzliche Amputation der Zeugungsteile vor und warf alle Teile, derer er sich beraubt hatte, zum Fenster hinaus auf die Straße.
Matteo Lovat, der seine eigene Wundheilung bestens organisiert hatte, wurde daraufhin zum Gespött der Dörfler wurde.

1802 zog er nach Venedig, wo er im September 1803 von einem Nachbarn bei seinem ersten Kreuzigungsversuch gestoppt wurde. Nach einem Wohnungswechsel bereitete er eine zweite Selbstkreuzigung vor.

Matteo Lovat hatte die Kreuzigung bis ins Detail geplant. Er blieb unauffällig, wollte keinerlei Aufmerksamkeit erregen. Mit ruckartigen Bewegungen und mit Hilfe eines Seils und seines eigenen Gewichtes ließ er sich aus seinem Fenster gleiten und präsentierte sich gekreuzigt der Nachbarschaft.

Matteo Lovats Wunden heilten schnell, trotzdem blieb er krank, litt an Schlafstörungen. Dem Arzt Ruggieri gelang es nicht, den psychologischen Hintergrund der Selbstkreuzigung zu klären. Matteo Lovat wurde im August 1805 in das „Hospital für Wahnsinnige“ nach San Servolo gebracht, wo er am 8. April 1806 starb. Die letzten sieben Monate bis zu seinem Tod waren für ihn ein Martyrium gewesen.
Matteo Lovats litt zweifellos an einer besonderen Form von Seelenstörung.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.