Fragen an Kriminaloberrat a. D. Klaus Dalski

Kam es in deiner Dienstzeit einmal zu Banküberfällen? Wie entwickelte sich überhaupt die Kriminalität nach 1989?

Diese Straftaten waren äußerst selten. Es gab keine Toten oder Schwerverletzten. In Bad Sulza, Neudietendorf und Kleinneuhausen (diese Tat wurde nicht geklärt) handelten Rechtsbrecher.

Mit der Öffnung der Grenzen 1989 veränderte sich das Kriminalitätsbild schlagartig. In den Kreisen Gotha und Sömmerda zum Bespiel wurden Geldinstitute überfallen. In einem weiteren Fall wurde ein Fahrzeug der Deutschen Post überfallen, was Geld zu den einzelnen Außenstellen bringen sollte. In Kindelbrück wurde bei einem Sparkassenüberfall ein Mann erschossen.

Es gab eine ganze Serie von Angriffen auf Apotheken, um an berauschende Mittel heranzukommen. Dabei wurde festgestellt, daß die Täter gründlich die Apotheken vorher observierten, um herauszufinden, wann welche Apotheke beliefert wurde. Darin steckte dann auch der Schlüssel für die Ermittler zur erfolgreichen Aufklärung und das Stellen der Täter auf frischer Tat.

Über 25 Jahre habe ich Kriminalität vorgebeugt oder bekämpft.

Ich selbst brauchte nie ein Verfahren wegen Drogenhandels oder Drogenmißbrauchs zu bearbeiten. Diese Handlungen gab es einfach nicht. Aus dem medizinischen Bereich erinnere ich mich an zwei Fälle, wo sich Mitarbeiter von Krankenhäusern widerrechtlich in den Besitz von Opiaten oder Morphinen brachten – zum eigenen Gebrauch.

Ab 1989 und verstärkt 1990 stieg auch in Thüringen die Drogenkriminalität ab Null beginnend zügig an. Damit war auch der sogenannten „Beschaffungskriminalität“ Tür und Tor geöffnet. Jetzt zeigten sich alle Gebrechen des realexistierenden Kapitalismus. Das Fehlen der Drogenszene in der ehemaligen DDR hatte aus meiner Sicht zwei Gründe: Erstens war die DDR-Mark kaum von internationalem Wert und zweitens ließ die Abschottung der Gesellschaft so etwas nicht zu. Die Kriminalitätstrukturen der BRD schlugen in der Folgezeit auch im Osten ihre Wurzeln. Für die Menschen in der ehemaligen DDR war das kaum begreifbar, obwohl viele ahnten, was in dieser Richtung kommen würde.

Man bedenke, daß es 2009 in Thüringen elf „Drogentote“ gab. Wer sich gründlicher mit der Drogenszene befaßt hat, wird feststellen, daß der Kampf gegen diese Erscheinung fast aussichtslos ist. Bereits Kinder und Jugendliche sind infiziert. Untersuchungen ergaben, daß ca. 35 bis 40 Prozent der Schüler in der BRD regelmäßig Medikamente oder andere berauschende Mittel einnehmen, um Konzentrationsschwächen mit psycho-sozialen Auswirkungen, die zu Leistungsproblemen führen könnten, zu überwinden.

Heute bilden der Drogenanbau, -handel und -verkauf einen wesentlichen Schwerpunkt der internationalen organisierten Kriminalität.

Darüber hinaus zeigen sich immer schärfere Konturen im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität und internationalem Terrorismus ab, weil die „erwirtschafteten“ Erlöse aus dem Drogenhandel und andere Formen der organisierten Kriminalität in den internationalen Terrorismus einfließen, wie bei Waffenbeschaffungen, Sprengstoffen oder gefälschten Papieren.

Auch die Kriminalität, von Ausländern begangen, wurde zusehends intensiver. Man konnte den Eindruck gewinnen, daß die internationale organisierte Kriminalität im „aufgelösten“ Ostblock und speziell auch in „Ostdeutschland“ einen „neuen Markt“ entdeckt hatte und nun ein erbitterter Kampf um die Aufteilung desselben entbrannt war.

Die Sicherheit von bestimmten Einrichtungen wie Museen, Postämtern, Banken, aber auch Geschäften (insbesondere Juwelierfilialen) mußte sehr schnell den neuen Bedingungen technisch wie manuell angepaßt werden.

In der DDR gab es keine privaten Sicherheitskräfte wie Detekteien oder Sicherheitsdienstleistungen bei Geldwerttransporten und Objektschutz.

Dieser Markt wurde natürlich schnell erkannt. „Gestandene“ Sicherheitsunternehmen aus dem Westen eröffneten Niederlassungen oder Filialen im östlichen Teil Deutschlands.

Es gab aber auch nicht wenige, initiativreiche ehemalige Angehörige der sogenannten „bewaffneten Organe der DDR“, die eigene Unternehmen gründeten und mit sehr guter Qualität die entstandenen Sicherheitslücken schlossen. Noch heute sind diese Firmen Marktführer in Thüringen und genießen ein hohes Vertrauen in der Wirtschaft, im gesellschaftlichen und privaten Bereich.

Daher war es auch für mich unsinnig, in den Vorruhestand zu gehen. Bis zu meiner Berentung gab ich mein Wissen und meine Erfahrungen in die Ausbildung privater Sicherheitskräfte ein. Im Auftrag des Bildungszentrums für Sicherheit in der Wirtschaft München habe ich jahrelang die Ausbildungsstätte in Erfurt geführt. Bis zu meinem 70. Lebensjahr leitete ich zudem einen „Prüfungsausschuß“ der Industrie und Handelskammer für das Wach- und Sicherheitsgewerbe.

Ich bin fest davon überzeugt, daß die auswahlweise Darstellung von Kriminalitätsfällen ab den „Wendejahren“ 1989/90 mit all den damit verbundenen Problemen unglaublich viel Stoff für ein interessantes Buch bieten und zur Aufarbeitung unserer Geschichte beitragen könnte.

Denken Sie dabei nur an den Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium.

Warum war die Kriminalität in der DDR eine andere?

Und warum ist es jetzt so schlimm?

Ein gesellschaftlicher Ring (nicht gleich als Grenze zu verstehen) schloß die Menschen zusammen. Rechtsbrecher hatten kaum Chancen, sich zu entfalten. Sie stießen an den gesellschaftlichen Ring und wurden in die Gemeinschaft zurückkatapultiert. Der Rechtsbrecher wurde wieder in die Gesellschaft integriert. Er erhielt Arbeit. „Jeder“ kümmerte sich um ihn.

In einer pluralistischen, nennen wir sie freiheitlichen Gesellschaft ist der Ring weg. Die Individuen können sich frei in alle Richtungen bewegen.

Die Rechtsbrecher handeln dabei nicht nur in den Bundesländern, sondern in Europa, ja in der ganzen Welt. Die organisierte Kriminalität erreicht mittlerweile Dimensionen, die nicht mehr erfaßbar sind.

Immer mehr Felder tun sich auf, bis hin zur Organbeschaffung und -handel. Besonders in südamerikanischen Staaten werden z. B. sogenannte „Straßenkinder“ getötet und aufgrund ihrer Organe „ausgeschlachtet“. Zurück bleiben „ausgenommene“ Kinderleichen. Wer viel Geld hat, kauft sich solche Organe bei Ausfall der eigenen. Wohlgemerkt geschehen diese furchtbaren Morde illegal. Perverser und menschenverachtender geht es nicht.

Gab es einen spektakulären Fall, der nicht gelöst werden konnte? Und warum?

Es gab noch sehr viele Kriminalfälle, die in meinen Verantwortungsbereich fielen und nicht gelöst werden konnten.

Die Palette reicht von Tötungsverbrechen, Brandstiftungen über Eigentumsdelikte bis hin zum Gemälderaub im Schloß Friedenstein in Gotha, der bis heute nicht geklärt ist. Erschwerend wirkte sich auf die Ermittlungen die Tatsache aus, daß es zwischen der DDR und der BRD auf diesem Gebiet keine Formen der Zusammenarbeit gab. Die Gemäldediebe hatten damals selbstgefertigte Steigeisen benutzt, deren Stahl nicht aus der Produktion der DDR stammte. Das war ein Hinweis darauf, daß die Täter eventuell in der BRD oder im westlichen Ausland zu suchen waren oder als Auftragstäter solche Verbindungen hatten.

Heute sind Kindesmorde leider an der Tagesordnung. Wie war das zu DDR-Zeiten?

Ich spreche nur für meinen Verantwortungsbereich. Es waren sehr wenige – zum Glück!

Neugeborene, die als Leichen gefunden wurden, gab es. Aber auch hier waren Grenzen gesetzt. Das Gesundheitswesen der DDR erfaßte Schwangere und organisierte Schwangerschaftsberatungen mit Auszahlungen von Schwangerschaftsgeld. Es fiel also sofort auf, wenn eine werdende Mutter nicht mehr erschien. Positiv war, daß keine schwangere Frau Existenzangst durch die Geburt des Kindes haben brauchte. Durch die Gleichberechtigung von Mann und Frau war eine gleiche Bezahlung gewährleistet. Die sozialen Bedingungen (relativ geringe Wohnungsmieten, das Vorhandensein von Krippen- und Kindergartenplätzen) ließen es zu, daß auch alleinstehende Mütter gut mit ihren Kindern leben konnten.

Was hält der erfahrene Kriminalist Klaus Dalski von der Todesstrafe?

Emotional in konkreten Fällen ertappe ich mich, daß ich mir für z. B. Kindesmörder, aber auch besonders brutal vorgehende Verbrecher die Todesstrafe vorstellen kann. Rational lehne ich sie ab, aber wie die Praxis aussieht, gefällt mir überhaupt nicht. Die toten Opfer können sich nicht mehr wehren, ihre „Anwälte“ sind in erster Linie die Eltern und andere Familienangehörige.

Die Täter aber leben! Bei ihnen werden zum großen Teil Schuldminderungsgründe gesucht, um ein milderes Urteil zu erwirken. Das trifft hart auf meinen Gerechtigkeitssinn.

Wie war die Berichterstattung in der DDR zu Straftaten oder Mithilfeersuchen?

So, wie auch heute lag die Öffentlichkeitsarbeit in der Verantwortung der Staatsanwaltschaft. Der Kreisstaatsanwalt führte wöchentliche Pressebesprechungen durch. Daran nahm auch der jeweilige Leiter K der Stadt teil. Es wurde aber nur recht sparsam berichtet. Die Bevölkerung war nie beunruhigt, aber auch nie umfassend informiert.

Damals wäre es undenkbar gewesen, daß Leute der Presse, des Rundfunks oder Fernsehens am Tatort erschienen wären. Der Vorteil bestand, daß die bis dahin unbekannten Täter keinerlei Hinweise zum Ermittlungsstand der Polizei erhielten. Was veröffentlicht wurde, war abgestimmt und somit natürlich die Pressefreiheit eingeschränkt.

Es sollte an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß eine hohe Sicherheit gewährleistet war. Fragen Sie ältere Leute, ob sie damals Angst hatten, nachts durch Weimar zu gehen. Fragen Sie Juweliere und andere Geschäftsleute, ob sie ihre Auslagenfenster vergittern mußten oder Alarmanlagen benutzten. Nicht einmal die Museen waren so gesichert. Bitte aber alles zu sehen unter Ort, Zeit und Bedingungen.

Sowjetische Kriminalisten, die ich zu betreuen hatte, fragten mich in Erfurt so gegen 20 Uhr, wann die Gitter und Rolläden vor den Geschäften heruntergingen, um Dieben die Begehung von Raubdelikten zu erschweren. Sie waren schockiert, als sie keine solchen Sicherheitsmaßnahmen sehen konnten.

Gab es Auswertungen der Ermittlungen?

Wurde ein Tötungsverbrechen oder eine andere spektakuläre Straftat aufgeklärt, „hagelte“ es für die Kriminalisten Prämien und zum Teil Orden.

Wir waren uns immer einig, unsere Erfolge in Frage zu stellen.

Warum hat es so lange gedauert bis zur Aufklärung, welche eventuellen Fehler wurden gemacht?

Oft saßen die Leiter der einzelnen Bereiche bei mir zusammen. Jeder erhielt die Möglichkeit, seine Maßnahmen kritisch zu bewerten.

Gab es Fehler bei Alibiüberprüfungen von Tatverdächtigen, wurden wichtige Spuren nicht erkannt, wurden Zeugen lückenhaft vernommen, entsprachen die Fahndungsmaßnahmen den Anforderungen, war die Auswertungstätigkeit auf der Höhe der Aufgaben und viele andere Fragen standen zur Diskussion.

Das Ziel bestand darin, gemachte Fehler zu erkennen und sie zukünftig zu vermeiden. Es erfolgte also immer ein Qualitätsschub der Ermittlungen.

Gibt es den geborenen Verbrecher?

Ich bin kein Wissenschaftler, verneine aber diese Frage. Der Mensch ist das Produkt seiner Erziehung und Umwelt. Sicherlich gibt es angeborene Anlagen und sich herausbildende Talente. Daher ist es nicht selten, daß Kinder ihren Eltern in der Berufswahl oder in Interessen und Neigungen (z. B. Sport, Musik etc.) nacheifern. Die Beeinflussung und das bewußte Hinlenken spielen eine nicht untergeordnete Rolle. Der in jedem Menschen innewohnende kriminelle Wunsch wird nur erfüllt, wenn es die persönliche Hemmschwelle zuläßt. Sie wird u. a. geprägt durch Erziehung im Elternhaus, Bildung, Intellekt, Beruf, soziales Umfeld, soziale Bedingungen, Charaktereigenschaften, Interessen und Neigungen, Freundeskreis, Freizeitgestaltung, Hobbys, gesellschaftliche Bedingungen, Zeitgeist, Religion und vieles mehr.

Über welche Fähig- und Fertigkeiten muß ein Kriminalist verfügen?

Er muß auf alle Fälle fundierte Kenntnisse der Kriminalistik und der Kriminologie besitzen. Das logische Denken sollte ausgeprägt sein. Psychologische und praktische Kenntnisse sowie ein großer Erfahrungsschatz sind notwendig, um das Verhalten von Tatverdächtigen und auch von Zeugen richtig einschätzen zu können. Das Versetzen in die Rolle des Täters und die damit herauszuarbeitenden Täterversionen sind nicht nur Aufgaben des „Profilers“. Eine psychologische Ausbildung ist deshalb unumgänglich. Fazit: Ein hohes Fachwissen, fundierte Rechtskenntnisse und anwendungsbereites, psychologisches Wissen, vielleicht auch ein „kleiner Schuß“ schauspielerisches Talent, zeichnen den guten Ermittler aus.

Zum Schluß eine oft gestellte Frage: Gibt es einen ungelösten Fall, der dich heute noch beschäftigt?

Ja, siehe der Mordfall in Sömmerda. Ich möchte, daß die Eltern des getöteten Mädchens erfahren, wer so menschenverachtend und grausam ihnen das lebensfrohe Kind genommen hat. Daher meine Bitte an die Kriminalisten von heute: „Klärt diesen Fall auf!“

Anfragen an den Autor bezüglich Buchlesungen, Vorträge etc. bitte an info@verlag-kirchschlager.de. Weitere Informationen findte die geschätzte Leserschaft auch bei www.Michael-Kirchschlager.de.

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