Kindliche Mörder – Der dreizehnjährige Mörder Conrad Eber – Bayern (1888)

Von der Fahrstraße, die die Dörfer Thurnau und Limmersdorf verbindet, biegt ein Fußweg, der sogenannte Wiesenweg, ab, der in ziemlich gerader Richtung auf das im Süden außerhalb Limmersdorfs liegende Haus der Steinhauerswitwe Näther zuführt, während man auf der Fahrstraße erst in größerem Bogen dorthin gelangt. Dieser Wiesenweg durchschneidet zunächst die von Berndorf nach Limmersdorf führende Straße, dann einen von Reuthof ebendorthin führenden Fußsteig. Folgt man letzterem in Richtung Osten, so ist man in kurzer Zeit bei der am äußersten Ende Limmersdorfs liegenden Wohnung des Gemeindedieners Eber.

Bleibt man dagegen auf dem zuerst erwähnten Fußweg, so durchschreitet man bis an das Näthersche Haus eine hügelige Wiese, die in der Richtung dorthin etwas aufsteigt und von einem halben, zuweilen auch ein bis zwei Fuß breiten, in Schlangenwindungen sich dahinziehenden natürlichen Wassergraben durchzogen ist. In diesem Graben befindet sich etwas abseits vom Wiesenweg, 270 Schritt vom Nätherschen Haus entfernt und von dort aus deutlich sichtbar, eine einen kleinen Wassertümpel darstellende Ausbuchtung. Da, wo durch ein schmales (kaum einen halben Fuß breites) Rinnsal das Wasser in diesen Tümpel einfließt, steht ein Weidenbaum, um welchen herum sich das Wasser windet.

Der ganze Tümpel hat eine Länge von 1,70 m und ist an der breitesten Stelle 90 cm, an der schmalsten 64 cm breit. Oben beim Einfluß des Wassers bis gegen die Mitte zu hat er eine tiefe von 31, von da bis an die Ausflußstelle eine solche von 23 cm.

Am Nachmittag des 14. März 1888 schickte die Witwe Näther ihr neunjähriges Töchterchen Margareta nach Thurnau, um dort dürres Reisig zu verkaufen und für den Erlös ein Stück Kochzucker einzukaufen. Das Kind kehrte aber nicht mehr zurück. Vergebens wurde die Umgebung abgesucht. Das einzige, was die Mutter in Erfahrung brachte, war, daß Margareta nachmittags in Thurnau mit dem Knaben Conrad Eber, einem Sohn des Gemeindedieners Eber von Limmersdorf, gesehen worden war. Sie ging daher noch abends zehn Uhr zu Ebers, um hier Erkundigungen einzuziehen. Conrad wollte aber von nichts wissen.

Am anderen Morgen fand man das vermißte Kind in dem oben beschriebenen Wassertümpel. Sie lag auf dem Rücken, das Gesicht nahe beim Weidenbaum nach oben gekehrt, und füllte mit ihrem Körper den ganzen Tümpel aus. Das Wasser rieselte sacht über die Leiche hinweg.

Die vorgenommene Obduktion ergab, daß das für sein Alter kräftige Kind ertrunken war, daß ihm aber noch bei Lebzeiten äußere Verletzungen beigebracht worden waren.

Der Verdacht, die Kleine ermordet zu haben, lenkte sich sogleich auf Conrad Eber, der tags zuvor mit ihr gesehen worden war und allgemein als böser Bube galt. Da er sich damals gerade in der Schule befand, ging der Gendarm dorthin. Eber erklärte ihm gleichgültig und ruhig, er sei während des gestrigen Nachmittags mit anderen Knaben, die er benannte, nicht aber mit Margareta Näther zusammengewesen. Und als in seiner Joppentasche ein in Papier gewickeltes Stück Kochzucker gefunden wurde, wollte er es für Geld gekauft haben, das ihm sein Vater gegeben hatte.

Nachdem aber sein Vater diese Behauptung als unwahr erklärte, gab Eber zu, daß er die kleine Näther des Zuckers beraubt und dann, um nicht von ihr angezeigt zu werden, ertränkt habe. In Nebenpunkten log er auch noch während der Voruntersuchung. Sein Geständnis ging im Wesentlichen dahin:

?Nachmittags begleitete ich die kleine Näther von Limmersdorf nach Thurnau, wo sie, wie sie mir unterwegs erzählte, für ihre Mutter ein Reisigbündel, den sie bei sich trug, verkaufen und mit dem dafür erhaltenen Geld Zucker kaufen sollte. Während sie dies besorgte, bettelte ich in Thurnau und wartete dann auf die Näther. Als sie kam, lag in ihrem Korb, den sie auf dem Rücken trug, ein Stück Zucker. Wir traten den Heimweg an. Außerhalb Thurnaus gesellte sich eine Frau zu uns, die eine Strecke des Weges mit uns ging.

Unterwegs beschloß ich, der Näther den Zucker abzunehmen. Ich hob von der Erde einen Faustgroßen Stein auf und steckte ihn zu mir, um ihn nötigenfalls gegen die Näther zu gebrauchen. Wir bogen auf den Wiesenweg ab (es war damals, wie jene Frau bekundete, gegen 5 ½ Uhr). Als wir in die Nähe des Reuthofer Fußsteigs kamen und die Frau, die auf der Landsraße in Richtung Limmersdorf weiterging, uns nicht mehr sehen konnte, forderte ich die Näther auf, mir den Zucker zu geben. Sie weigerte sich und als ich ihn mir selbst aus dem Korb nehmen wollte, wehrte sie sich.

Ich faßte sie an, warf sie zu Boden und nahm den Zucker nahm mich. Als die Näther mich deshalb ausschalt und mit Anzeige bedrohte, schlug ich sie mit dem vorhin von mir eingesteckten Stein auf den Mund, die Stirn und den Kopf, worauf sie weinend an den Bach hinab ging. Ich lief nun nach Hause und holte eine Liste über Gemeindeunterlagen, di eich für meinen Vater bei den darauf verzeichneten zahlungspflichtigen Personen herumtragen sollte. Ich schlug dann wieder die Richtung nach dem kurz zuvor verlassenen Wiesenweg ein und sah jetzt, wie die kleine Näther, die ihren Korb auf die Seite gestellt hatte, über den Wassertümpel gebeugt ihr blutiges Gesicht wusch.

Nun beschloß ich, sie zu töten, damit sie mich nicht anzeigen könne. Ich schlich mich daher leise an sie heran, packte sie hinten am Genick, stieß sie vornüber in den Tümpel und drückte ihren Kopf solange in das Wasser, bi sich sie für tot hielt. Hierauf wollte ich mich entfernen, bemerkte aber im Fortgehen, daß die Näther sich noch einmal umgedreht hatte. Ich ging deshalb wieder zurück und drückte die jetzt mit dem Gesicht nach oben Liegende wiederholt in das Wasser hinein, bis sie ganz leblos zu sein schien. Darauf trug ich ruhig die Liste umher. Ich weiß und wußte wohl, daß der, der einen Menschen beraubt oder tötet, ein großes Verbrechen begeht und schwer bestraft werden kann.?

Conrad Eber wurde am 16. April 1874 geboren, hatte also zur Zeit der Tat das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet. Als er mit sieben Jahren zuerst in die Limmersdorfer Schule kam, war er, wie der Lehrer, der ihn unterrichtete, bekundete, geistig so schwach entwickelt, daß er um ein Jahr zurückgestellt werden mußte. Im folgenden Jahr war es nicht viel besser, und da er auch schwerhörig war, profitierte er nicht viel vom Unterricht. Teils hörte er nicht, was gelehrt wurde, teils begriff er das Gehörte nicht. So lernte er denn in den ersten vier Jahren des Unterrichts nur notdürftig lesen und schreiben.

Dann machte er etwas bessere Fortschritte, wozu wesentlich der Umstand beitrug, daß seine Schwerhörigkeit sich allmählich verminderte und endlich ganz verschwand. Gering blieben seine Leistungen aber auch jetzt noch, zumal er faul war. Sein Betragen gab während der ersten beiden Jahre zu besonderem Tadel keinen Anlaß. Später war er lügenhaft, diebisch, trotzig und eigensinnig.

Bei der letzten Schulprüfung wollte er nicht lesen, und alle Bemühungen, seinen Eigensinn zu brechen, blieben fruchtlos. Vor etwa zwei Jahren wurde er dabei ertappt, wie er einige Kerzenstumpen aus der Kirche Stahl. Gegen jede Bestrafung zeigte er sich vollkommen gleichgültig. Der Lehrer war der Ansicht, daß der angeklagte, wenn er auch geistig beschränkt und nicht so normal wie andere Kinder entwickelt war, doch die zur Kenntnis der Strafbarkeit seienr Handlung nötige Einsicht zur Genüge besitze bzw. zur Zeit der Tat besessen habe.

Letzteres nimmt auch der Pfarrer in Berndorf an, der seit zwei Jahren als Schulinspektor für Limmersdorf häufig Gelegenheit hatte, den Knaben zu beobachten. Er bezeichnet die geistigen Anlagen Conrad Ebers zwar nicht als hervorragend, aber doch genügend für einen gedeihlichen Unterricht, und betont besonders den Mangel an Eifer und gutem Willen.

Der Bürgermeister in Limmersdorf nennt den Eber einen bitterbösen, boshaften, lügenhaften und diebischen Burschen, roh und gewalttätig gegen andere Kinder, wenn sie sich nicht seinem Willen fügen. Wie dieser Zeuge ferner mitteilt, sind die häuslichen Verhältnisse der Familie Eber sehr unerfreulich. Die Erziehung des Knaben wurde gänzlich vernachlässigt.

Dorfgenossen des angeklagten schildern ihn als roh und grausam und erzählen davon, wie er häufig Gänse, die r zu hüten hatte, geschlagen, umhergetrieben oder in anderer Weise barbarisch mißhandelt hatte.

Im Herbst 1887 erlaubte er sich wiederholt unzüchtige Griffe gegen die kleine Margareta Näther, was diese ihrer Mutter klagte. Und wie gern er auch in Gedanken sich mit derartigen Dingen beschäftigte, zeigt folgendes Vorkommnis: Im Februar 1888 fand sich auf seinem Platz in der Konfirmationsstunde ein an einen Mitschüler adressierter Brief, in dem er diesen eines unsittlichen Attentats gegen eine Konfirmandin beschuldigte. Wie die sofort eingeleitete Untersuchung ergab, war diese Beschuldigung vollständig aus der Luft gegriffen.

Eber hat früher an skrophulösen Augenentzündungen und an Schwerhörigkeit gelitten, war aber nicht krank und ist auch jetzt gesund und kräftig. Wenn er zu sprechen beginnt, stottert er heftig. Ist er aber erst mit der Sprache im Zuge, so spricht er meist in fließender Rede.

Vom ersten bis zum letzten Verhör bewahrte er eine vollkommene Ruhe. Zur Leiche der Margareta Näther geführt, zeigte er nicht die geringste innere Erregung und wiederholte mit völligem Gleichmut sein Geständnis. Ebenso ruhig und gleichgültig benahm er sich in der Einzelhaft des Gefängnisses. Er las zeitweilig in einem Gebetbuch, schleißte Federn, aß und schlief ganz wie ein mit sich selbst zufriedener Mensch. Von irgendeiner Gewissensregung und Reue keine Spur. Als der Staatsanwalt und der Gerichtsarzt ihn einmal in seiner Zelle besuchten, erkundigte er sich, ob er jetzt nicht bald nach Hause komme.

Der Sachverständige, Landgerichtsarzt Dr. L., gelangt zu dem Resultat, daß Eber zwar das nötige Mass von Intelligenz und geistiger Entwickelung besitz, um im allgemeinen unterscheiden zu können, was erlaubt und was verboten ist, dass ihm aber alle die ethischen Anlagen und Kräfte, Gemüt und Gewissen, fehlen, die einen normalen Menschen, auch wenn er noch im Kindesalter steht, mahnen und abhalten, ein Verbrechen zu begehen. Er hat ein Vergnügen daran, Tiere zu quälen, vor Strafen fürchtet und schämt er sich nicht, sie erregen bei ihm nur Spott und Hohn, er begeht und denkt sich unsittliche Handlungen aus, deren man ihn bei seinem jugendlichen Alter gar nicht fähig halten sollte, er misshandelt Kinder und ermordet schließlich eines mit einer Kälte und Überlegung sonder Gleichen. …

Nach meiner Überzeugung ist bei dem Burschen neben mässig entwickelten intellektuellen Anlagen ein angeborener moralischer Defekt, ein Mangel des Gewissens vorhanden, schlechte Erziehung, Mangel an Aufsicht und gutem Beispiel reicht gewiss nicht hin, um eine solche moralische Verworfenheit zur Erscheinung zu bringen, wie sie dieser Junge an den Tag gelegt hat. Im Gegensatz zu diesem Defekt findet sich bei ihm eine gesteigerte Entwickelung der sinnlichen Triebe und der Begierde nach materiellen, ja sogar nach sexuellen Genüssen; ihnen zu widerstehen, dazu fehlen ihm die nötigen moralischen Kräfte und Anlagen, wenn er auch wissen kann und nach dem Unterricht, den er genossen hat, wissen muss, dass er in Strafe verfällt, wenn er diese Triebe befriedigt.

Das schriftliche Gutachten beschränkt sich auf diese psychologische Analyse des Falles und überläßt die Beantwortung der Einsichtsfrage nach § 56 St.-G.-B. dem Richter. Bei der Hauptverhandlung aber sprach sich der Sachverständige mit voller Bestimmtheit dahin aus, daß, wenn auch der Angeklagte an einem moralischen Defekt leide, doch seine intellektuelle Entwicklung eine derartige ist, daß ihm die zur Erkenntnis der Strafbarkeit seiner Handlung erforderliche Einsicht innewohne bzw. innegewohnt habe.

Die Strafkammer war derselben Ansicht und verurteilte den Angeklagten wegen Raubes und Totschlags zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe, die sofort angetreten wurde.

Der Verteidiger hatte unter Hinweis auf den konstatierten moralischen Defekt für Mangel an Einsicht plädiert. Hierzu bemerken die Urteilsgründe: Ein etwa vorhandener moralischer Defekt kommt im Strafrecht nicht in betracht.

Die Frage, Verbrechen oder Wahnsinn, hat, soweit ersichtlich, hier niemand aufgeworfen. Und doch hat dieser Fall mit dem der Marie Schneider gerade in psychologischer Beziehung eine zum Teil frappante Ähnlichkeit. Die Unverhältnismäßigkeit des grausigen Verbrechens und des erstrebten Zweckes ist hier nicht weniger schreiend, als dort. Die zynische Gefühllosigkeit und Ruhe bei und nach der Tat (insbesondere auch angesichts der Leiche) in beiden Fällen dieselbe. Monströse Grausamkeit gegen Altersgenossen und Tiere zeigte sich, wie bei der Schneider, so auch bei Eber schon in frühester Kindheit, und wenn sie bei der Ersteren ohne weiteres als Symptom einer offenbar krankhaften Veranlagung angesprochen werden darf, warum dann nicht auch hier? Ein Intellektsdefizit endlich hätte sich ja ganz in derselben Weise wie dort konstruieren lassen und hier um so schwerer ins Gewicht fallen müssen, als Ebers Intellekt ohnehin nicht hervorragend ist. Die Parallele ließe sich wohl noch weiter ziehen.

Dennoch ist, wie gesagt, die Zurechnungsfähigkeit dieses jugendlichen Scheusals anscheinend von keiner Seite in Zweifel gezogen worden. Man wird sich gesagt haben: mag auch Conrad Ebe rin moralischer Beziehung noch so verkommen und defekt, mag er auch eine menschliche Mißbildung der grausigsten Art sein, für einen vernünftigen Zweifel an seiner geistigen Integrität fehlt jeder Anhalt.

Der dreizehnjährige Mörder Conrad Eber (Bayern, 1888)

Gerichtlich-medizinische Fälle und Abhandlungen. Unter Mitwirkung von Ärzten und Juristen herausgegeben von Dr. Hermann Ortloff, Landgerichtsrat in Weimar. Heft IV. Mörder im Kindesalter. Moralischer Defekt? Berlin 1888, S. 24-31. Der Fall Conrad Eber wurde von Amtsrichter Mau in Sonderburg bearbeitet.

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