Quellen zur Geschichte der Polizei im Dritten Reich: Aufgaben und Aufbau der Polizei des Dritten Reiches

Um die Kriminalgeschichte des Dritten Reiches besser verstehen zu können, kommt man nicht umhin, die Geschichte und vor allem die Struktur und die Aufgaben der Polizei im Dritten Reich zu studieren. Zu diesem Zweck habe ich aus einer besonders interessanten Quelle drei Beiträge ausgewählt, die den Leserinnen und Lesern der Kriminalia „Aufgaben und Aufbau der Polizei des Dritten Reiches“ erklären sollen. Zu diesem Zweck beginnen wir mit dem 1. Beitrag, den Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, anläßlich des 60. Geburtstages des Reichsministers des Inneren, Dr. Wilhelm Frick, in einer seltenen Festschrift anläßlich dieses Geburtstages im Jahre 1937 veröffentlicht hat.

Im ersten Abschnitt seines Beitrages erläutert Himmler die „weltanschaulichen“ Aspekte und Gründe des Umbaus der deutschen Polizei zur nationalsozialistischen Polizei des Dritten Reiches. Gleichzeitig erläutert er den Unterschied des bisherigen „Systems“, welches den Einzelmenschen in den Vordergrund rückte, gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie, in der das Volk als „Gesamtwesen“ im Vordergrund steht. In diesem Zusammenhang muß man auch die völlige Neustrukturierung und den politischen Umbau auf allen Ebenen der Polizei sehen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle staatsfeindlichen Personen (Sozialdemokraten, Juden) aus dem aktiven Polizeidienst entlassen.

„1. Aufgaben

Auf Vorschlag des Reichsministers des Innern Dr. Frick hat der Führer durch Erlaß vom 17. Juni 1936 (RGBl. I S. 487) – zur einheitlichen Zusammenfassung der polizeilichen Aufgaben im Reich – den Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern eingesetzt.

Die Erfüllung dieses Auftrages setzt voraus, daß über die Aufgaben der Polizei in unserem Reich volle Klarheit geschaffen wird.

Nach der früheren Rechts- und Staatslehre war diese kein Problem, denn sie sah die Frage nach den Aufgaben der Polizei rein formal und mechanisch, so daß die historisch entwickelte Definition und die abstrakt erklügelte Aufgabenstellung der Polizei – mit gewissen Anpassungen an den jeweiligen „politischen Zustand“ – auf jedes Staatswesen anwendbar wäre.

Nach nationalsozialistischer Auffassung gibt es keine allgemein gültige Begriffsbestimmung und Aufgabenstellung der Polizei oder irgendeiner anderen staatlichen Einrichtung. Denn jede Einrichtung der Volksführung und des völkischen Gemeinschaftslebens ist in doppelter Weise bedingt: durch die Eigenart des Volkes und durch die dieses Volk jeweils beherrschende Idee. Deshalb ist es nicht nach den Aufgaben d e r Polizei im Gebiete des Deutschen Reiches zu fragen, sondern nach den Aufgaben der nationalsozialistischen Polizei des deutschen Volkes.

Wie unmittelbar die Auffassung vom Wesen und den Aufgaben des Staates und seiner Einrichtungen durch de herrschende Weltanschauung bedingt ist, zeigt ein Vergleich des im Jahre 1933 überwundenen Systems mit der nationalsozialistischen Gegenwart.

Das überwundene System beruhte auf einer Weltanschauung, in deren Mittelpunkt das „Ich“, der Einzelmensch, stand. Der Einzelmensch war für diese Weltanschauung die einzige wirkliche Erscheinungsform des Menschentums. Über den einzelnen gab es keine natürlichen und notwendigen Einheiten, sondern nur die Summe aller Menschen – die Menschheit – als die rechnerische Zusammenfassung aller einzelnen. Völker und Staaten wurden nicht als schicksalgegebene notwenige Wirklichkeiten, sondern als willkürliche Gebilde betrachtet, die durch Zufall entstanden sind und nach Zweckmäßigkeit verändert werden können und sollen. Soweit das Wort „Volk“ Anwendung fand, wurde darunter die Gesamtheit der Staatsbürger eines Staates verstanden, die durch Einbürgerung und Ausbürgerung beliebig verändert werden konnte.

Der Zweck des politischen Denkens und Wollens war die Wohlfahrt, das Glück jedes einzelnen oder wenigstens einer möglichst großen Zahl von einzelnen. An der Eignung zur Förderung dieses Zweckes wurde die persönliche und die politische Sittlichkeit gemessen.

Die individualistische Grundauffassung und Zielsetzung beherrschte unterschiedslos alle weltanschaulichen und politischen Strömungen jener Epoche.

Aus dieser individualistischen Grundauffassung mußte ein Staatsbegriff erwachsen, der im Staate nur die freiwillige Selbstbeschränkung der einzelnen zum Zwecke der gemeinsamen Förderung ihrer Wohlfahrt erblickte. Der Aufbau und die Leitung der hierfür erforderlichen gemeinsamen Einrichtungen, also des Staates, mußte grundsätzlich ebenfalls aus dem Willen der einzelnen hervorgehen. Da eine wirkliche Selbstregierung aller einzelnen technisch nicht möglich war, wurde ein Mechanismus erdacht, der durch Wahl und Repräsentation die Fiktion einer demokratischen und parlamentarischen Selbstregierung aufrechterhielt. Tatsächlich wurden in diesem System jedoch die souveränen Einzelwähler das fast willenlose Objekt der politischen Beeinflussung durch mächtige private Gruppen: durch Parteien, Kirchen und wirtschaftliche Interessenverbände. Dieser privaten Machtgruppen ließen sich durch die ihrer Suggestion unterliegenden Wähler die Legitimation erteilen, den Staatsapparat und seine Nutzungsmöglichkeiten als Beute untereinander zu verteilen. Aus der Hoffnung, in weiteren Wahlgängen einen größeren Anteil der Beute erringen zu können, wurde die periodische Wiederkehr dieser innenpolitischen Machtkämpfe zum Grundgesetz des Staates erhoben. Der Inhalt der Verfassung dieses Systems läßt sich in den einen Satz kleiden, daß immer wieder die deutschen Menschen verfassungsmäßig von jenen privaten Machtgruppen gegeneinandergehetzt werden mußten, um neue Schlüssel für die Beuteverteilung zu zeitigen.

Auch die Aufgaben der Polizei in diesem System wurden durch die dargestellten Grundgedanken des Systems bestimmt. Der Polizei fiel in erster Linie die Aufgabe eines Nachtwächters für die privaten Interessen der Einzelmenschen zu. Darüber hinaus kam nur der Vollzug parlamentarisch beschlossener Gesetze, nicht der Vollzug eines Führungswillens in Frage. Soweit von politischen Aufgaben der Polizei überhaupt die Rede war, wurde darunter verstanden, daß der ungestörte Ablauf des Kampfes der Parteien und Interessenverbände um Macht und Beute nach den verfassungsmäßigen Spielregeln sichergestellt werden mußte. Die Befugnisse der Polizei wurden grundsätzlich einschränkend ausgelegt, damit die Freiheit des einzelnen und der privaten Gruppen möglichst wenig beeinträchtigt wurde.

Eine unter dieser Aufgabenstellung gesehene Polizei konnte selbstverständlich kein hohes Ansehen genießen. Aber sie konnte andererseits in diesem System keine von den weltanschaulichen und politischen Grundlagen des Systems abweichende Aufgabe haben. Daß eine solche Abweichung auch keinesfalls zum Erfolg, sondern zum Rückschlag führen konnte, hat der Versuch der letzten Systemregierungen, die Polizei gegen eine in den gesetzlichen Formen des Systems siegreich vordringende Bewegung – die NSDAP. – einzusetzen, bewiesen. Durch diesen Versuch wurde nicht nur statt einer Schwächung ein Kraftzuwachs der Bewegung erwirkt, sondern dieses vorgehen wurde auch von allen an dem System nicht interessierten Volkskreisen als unehrlich – weil dem Grundgedanken des Systems und seiner Verfassung widersprechend – empfunden und trug so dazu bei, das Fundament des Systems zu schwächen und dem Angreifer den Boden zu bereiten.

Die nationalsozialistische Idee, die heute das deutsche Volk und Reich beherrscht, sieht im Volk, nicht im Einzelmenschen, die wirkliche Erscheinungsform des Menschentums. Das Volk wird begriffen nicht als zufällige Summe von einzelnen, nicht einmal als die Gesamtheit der gegenwärtig lebenden Menschen gleichen Blutes, sondern als überpersönliche und überzeitliche Gesamtwesenheit, die begrifflich alle Generationen dieses Blutes – von den frühesten Ahnen bis zu den fernsten Enkeln – umfaßt. Dieser Volkskörper wird als organische Einheit gesehen, die von einem Gestaltungs- und Entwicklungsgesetz eigener Art beherrscht ist. Der Einzelmensch hat nur Sinn und Wert als Aufbauzelle in diesem Volkskörper. Er kann nie der Zweck, sondern nur das Mittel eines politischen Planens und Handelns sein.

Diese organische Gesamtwesenheit „Volk“ braucht – wie jede organische Einheit – einen Führungswillen zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Dieser Führungswille kann nicht künstlich und mechanisch geschaffen werden, sondern er muß organisch aus dem Volksganzen erwachsen. Die gegenwärtig lebende Generation hat den Vorzug, in dem Wege des Führers zur Macht ein Beispiel für das organische Emporwachsen einer solchen Volksführung erlebt zu haben, wie es in dieser Klarheit und Eindringlichkeit in der Geschichte selten zu finden ist.

Die Aufgaben der Führung und der von ihr geschaffenen Einrichtungen zielen ausschließlich auf die Erhaltung und Entfaltung aller Kräfte des Volkes. Das individuelle Glück des Einzelmenschen hat gegen die Erfüllung dieser Aufgaben zurückzutreten, weil eben der wirkliche Sinn und die Erfüllung des Einzeldaseins im Volk und nicht im Ich liegt.

Die Polizei als Instrument der nationalsozialistischen Staatsführung entnimmt ihre Aufgaben den Grundgedanken, auf denen der nationalsozialistische Staat beruht.

Sie ist nicht mehr der Nachtwächter für Einzelinteressen und nicht mehr mechanischer Vollstrecker der Gesetze. Ihre politische Aufgabe ist nicht mehr ide Aufrechterhaltung eines Zustandes verfassungsmäßiger Selbstzerfleischung des Volkes.

Die nationalsozialistische Polizei hat zwei große Aufgaben:

a) Die Polizei hat den Willen der Staatsführung zu vollziehen und die von ihr gewollte Ordnung zu schaffen und aufrechtzuerhalten.

b) Die Polizei hat das deutsche Volk als organisches Gesamtwesen, seine Lebenskraft und seine Einrichtungen gegen Zerstörung und Zersetzung zu sichern.

Die Befugnisse einer Polizei, der diese Aufgaben gestellt sind, können nicht einschränkend ausgelegt werden.

Die nationalsozialistische Polizei leitet ihre Befugnisse zum Vollzug des Willens der Staatsführung und zur Sicherung des Volkes und des Staates nicht aus Einzelgesetzen, sondern aus der Wirklichkeit des nationalsozialistischen Führerstaates und aus den ihr von der Führung gestellten Aufgaben her. Ihre Befugnisse dürfen deshalb nicht durch formale Schranken gehemmt werden, weil diese Schranken sonst auch den Aufträgen der Staatsführung entgegenstünden. Das nationalsozialistische Polizeirecht wird deshalb nicht in Einzelgesetzen, durch die einzelne Befugnisse der Polizei begründet werden sollen, seine Form finden können. Sonst müßten diese Gesetze durch jeden abweichenden Auftrag der Staatsführung durchbrochen werden – was dem Wesen des Gesetzes als einer gleichbleibenden und unveränderlichen Ausdrucksform des Führungswillens widerspräche. Wie die Wehrmacht kann die Polizei nur nach Befehlen der Führung und nicht nach Gesetzen tätig werden. Wie der Wehrmacht werden der Polizei durch die Befehle der Führung und durch die eigene Disziplin die Schranken des Handelns bestimmt.“

Quelle aus: Dr. Wilhelm Frick und sein Ministerium. Aus Anlaß des 60. Geburtstages des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern Dr. Wilhelm Frick am 12. März 1937 herausgegeben vom Staatssekretär im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern Hans Pfundtner. München 1937, S. 125-130.

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