Wie Otto Abetz verhaftet wurde (1949)

Otto Abetz, der Botschafter des Dritten Reiches in Frankreich (August 1940-1944) wurde 1949 in St. Blasien im Schwarzwald von einem französischen Kommissar verhaftet. Man verurteilte ihn in Paris wegen Mord, Folterung, Deportation etc. zu einer langjähriger Zwangsarbeit, aus der man ihn aber schon 1954 entließ. Abetz starb am 5. Mai 1958.

In der Kriminalzeitschrift „Internationale Kriminal-Revue“ (1. Jahrgang, Heft 3, Eßlingen 1949, S. 110-112) findet sich ein interessanter Beitrag über die Verhaftung des Botschafters, den wir vollständig wiedergeben wollen.

Es war nicht seine erste Verhaftung nach Kriegsende. Zweimal vorher war er, der ausgezeichnete falsche Papiere hatte, vom Sicherheitsdienst der Franzosen verhaftet und jedesmal nach 24 Stunden wieder freigelassen worden, nachdem die französische Kriminalpolizei festgestellt hatte, daß seine Papiere „echt“ waren. Sie lauteten auf den Namen „Laumann“.

Als in Paris in den Augusttagen 1944 die Straßenschlachten tobten, besetzten Widerstandskämpfer im schnellen Vorstoß und fast ohne auf Gegenwehr zu treffen, die Gebäude der deutschen Botschaft in der Rue de Lille. Man wollte unter allen Umständen die Geheimarchive des Botschafters Abetz sicherstellen. Aber man kam zu spät. Lastwagenkolonnen hatten in höchster Eile alles wichtige Material nach Osten abtransportiert. Auch der Botschafter war verschwunden. Es folgte der Waffenstillstand. Viele Führer des Dritten Reiches wurden gefangengenommen. Aber von Abetz fehlte jede Spur. Man suchte eifrig, denn auch er stand auf der Kriegsverbrecherliste. Aber er blieb verschollen.

Langsam begann sich das Leben in Deutschland wieder zu normalisieren. Die Deutschen mußten Fragebogen ausfüllen und wurden in der französischen Zone der Reihe nach von Beamten der französischen Kriminalpolizei vernommen, die am Anfang der Besetzung in jeder Stadt und in jedem Dorf ihrer Zone Agenten unterhielt. Auch in St. Blasien im Hoch-Schwarzwald war ein Kriminalkommissar tätig. Er vernahm Laumann, prüfte seine Papiere, fand sie in Ordnung und gab sich mit der Erklärung zufrieden, daß Laumann ein Ostflüchtling sei.

Aber einigen Bewohnern in St. Blasien fiel dieser Laumann merh auf, als dem französischen Kriminalkommissär, der die Vernehmungen vorgenommen hatte. Es erregte besonders ihr Aufsehen, daß Laumann für einen angeblichen Ostflüchtling sehr viel Geld ausgab und über unbeschränkte finanzielle Mittel zu verfügen schien. Er arbeitete nicht und suchte ach keine Arbeit. Diese Beobachtungen teilten sie erneut dem Kommissär mit. Noch einmal wurde Laumann vorgeladen, aber auch bei dieser weiteren Prüfung fand man seien Papiere in Ordnung, und man entließ ihn wieder. Auf die Idee, daß sich Abetz hinter Laumann verbergen könnte, kam der Kriminalkommissär nicht, trotzdem auf seinem Schreibtisch ein Steckbriefregister lag, in dem der Name Abetz, gleich an vorderster Stelle stand.

In Freiburg im Breisgau saß ein anderer französischer Kriminalkommissär. St. Blasien gehörte nicht merh zu seinem Amtsbereich und nach den Regeln des Heiligen Bürokratius hätte dieser Kommissär in St. Blasien keine Amtshandlung durchführen dürfen. Hätte er sich wirklich an diese Regeln gehalten, so wäre Abetz vielleicht niemals verhaftet worden. Auch dieser Kommissär hörte von den Gerüchten über Laumann. Da beschloß er, sich den „Ostflüchtling“ einmal anzusehen, stieg in das Dienstauto, kaufte noch rasch 20 Liter Benzin auf dem „schwarzen Markt“, weil die amtliche Zuteilung nicht ausreichte, und fuhr hinauf nach St. Blasien. Im Hotel ließ er sich zum Zimmer Laumanns führen.

„Guten Tag, Herr Laumann, ich möchte einige Fragen an Sie stellen. Ich komme von der französischen Wirtschaftspolizei. Wir sind im Begriff, einen illegalen Buttertransport aufzuklären, in den sie verwickelt sein sollen.“

Abetz, alias Laumann, hatte sicherlich in diesem Augenblick erleichtert aufgeatmet, denn in punkto Butter hatte er ein reines Gewissen. Mit Butterschiebereien hatte er überhaupt nichts zu tun.

„Sie müssen sich irren“, sagt Laumann, „ich habe absolut nichts mit Butterschiebungen zu tun. Ich bin Ostflüchtling und versuche Kontakt mit meiner Familie zu bekommen, die ebenfalls vor den Russen flüchtete“.

„So“, meinte der Kommissär, „dann haben Sie doch sicherlich auch Papiere“. Worauf Laumann dem Kommissär seine Kennkarte zeigte. Während dieser sie prüfte, erklärte ihm Laumann seelenruhig: „Wenn Sie gestatten, ziehe ich nur eine andere, dunkle Jacke an, da in wenigen Minuten zum Abendbrot im Hotel geläutet wird.“

Kaum lag die Jacke auf dem Stuhl, gab der Kommissär dem Sekretär ein Zeichen. Dieser nahm die Jacke und verschwand damit aus dem Zimmer. Zuerst drehte er alle Taschen um, fand aber nichts. Er kam wieder ns Zimmer zurück, schob seinem Chef einen Zettel hin: „Nichts Belastendes!“ Worauf der Chef auf den Zettel zurückschrieb: „Jacke auftrennen!“

Wieder ging der Sekretär aus dem Zimmer, zerschnitt das Futter und traute seinen Augen kaum, als er auf ein aufgenähtes Firmenzeichen stieß, auf dem zu lesen stand: „Schneider Carette für Botschafter Abetz, Paris“.

Der Sekretär stürzte ins Zimmer zurück, schob unauffällig das Etikett seinem Chef zu; der las und las ein zweites Mal. Daß mit dem Laumann etwas nicht stimmte, hatte er geahnt; aber daß sich dahinter Abetz verbarg, damit hatte auch er nicht gerechnet. Die Unterhaltung mit Laumann über die angeblichen Butterschiebungen ging weiter. Plötzlich meinte der Kommissär:

„Sagen Sie, Herr Abetz, wie lange wollen sie eigentlich die Komödie noch weiter spielen?“

Abetz wurde bleich und erklärte: „Ich gratuliere Ihnen, Sie haben mich erwischt“.

Am Abend lief über alle Telegraphendrähte der Welt die Nachricht: „Botschafter Abetz ist im Schwarzwald verhaftet worden!“

Damit war die Jagd nach abetz beendet. Aber abseits des großen Weltgeschehens spielte sich nun innerhalb der französischen Kriminalpolizei eine wahre Tragikomödie ab; denn schließlich hatte der Kommissär seine Dienstvorschriften übertreten, indeme r sozusagen in einem Gebiet „gejagt“, für das er keinen „Jagdschein“ hatte. Die Tragikomödie begann mit einer Beschwerde des für St. Blasien zuständigen Kriminalkommissar und endete … mit der Entlassung des Kommissars, der Abetz verhaftet hatte …

Zwei Jahre nachher stritt er sich immer noch mit dem französischen Staat herum. Erstens wegen dieser Entlassung; zweitens wegen Rückerstattung des auf dem Schwarzen Markt gekauften Benzins, das er für die Verhaftung von Abetz gebraucht hatte, drittens wegen der Belohnung, die ihm zustand, da er, ebenfalls im Schwarzwald verborgen, die von Abetz vergrabenen Dokumente und dessen beträchtlichen Gold- und Devisenschatz fand: wertvolle Gemälde, 4075 Goldstücke, 15 Millionen Franzosenfranken, 13000 Schweizerfranken, 7100 Dollar und 143000 Reichsmark. Jeder Kommissar hat Anrecht auf einen kleinen Prozentsatz für derartig gefundene Summen, aber der statt weigert sich, den Finderlohn auszuzahlen, da hier der Betreffende den Schatz in einem Gebiet fand, in dem er kein Recht hatte. Unser Kriminalkommissar, dem allein es zu verdanken ist, daß Abetz heute vor Gericht steht, nachdem der für den damaligen Aufenthaltsort zuständige Kommissar zweimal versagt hatte, ist des Ringens müde. Er ist heute Reisender einer größeren Lyoner Firma: „Durch diese Arbeit kann ich wenigstens meine Frau und meine sechs Kinder ordentlich ernähren“, meinte er.

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