Die drei Schatten (1919) – Ein Detektiv-Bericht von Leo Brunner – Teil 3

Georg Loughlin und ich wurden mit der Bearbeitung der Angelegenheit betraut, da wir dem Einbruchsdezernat zugeteilt waren. Bei der sofort vorgenommenen ersten Untersuchung des Grundstückes konnten wir sogleich feststellen, wo die Banditen sich Zutritt zum Haus verschafft hatten. Ein großes, aus einer einzigen Scheibe bestehendes Fenster im unteren Geschoß, das sich etwa drei Meter über dem Boden befand, war mit einem breiten Stemmeisen aufgezwängt worden. Das Werkzeug hatte handgreifliche Spuren hinterlassen. Wahrscheinlich war dann ein Mitglied der Bande durch die Fensteröffnung ins Innere gekrochen und hatte den andern die Haustüre geöffnet.


Als wir Hadley von unseren Feststellungen in Kenntnis setzten, erklärte er, im ganzen Untergeschoß seien überall elektrische Alarmvorrichtungen installiert. Wir untersuchten die Sache. Wie es sich herausstellte, war gerade bei diesem Fenster der Kontakt zwischen den stromführenden Teilen unterbrochen und zwar war das wohl darauf zurückzuführen, daß sich durch Zusammenschrumpfung des Holzes die Lage der Kontaktstellen um eine Kleinigkeit verschoben hatte. Die Alarmvorrichtungen an sämtlichen anderen Türen und Fenstern funktionierten.

Sehr nahe lag die Frage, wieso die Einbrecher gerade durch dieses Fenster eingestiegen waren. Hatten sie lediglich besonderes Glück gehabt? Mir erschien das jedenfalls recht unwahrscheinlich. Noch andere Umstände kamen dazu, die sowohl mich, wie meinen Kollegen zu der Überzeugung brachten, daß die Verbrecher durch ein Mitglied des Haushaltes informiert worden waren. Mindestens ein Mitglied der Bande mußte über die ganzen Verhältnisse am Tatort genau Bescheid gewußt haben. Nicht nur war ihnen bekannt gewesen, wo sich der in der Wand versteckte Safe befand, sie hatten auch gewußt, daß Hadley größere Beträge lose in der inneren Westentasche trug und daß der Silberschrank mit einer eigenen Alarmanlage versehen war. All dies war geeignet, unsere Auffassung zu bekräftigen. Wir besprachen die Sache mit Hadley und erkundigten uns nach seinem Hauspersonal. Er erklärte, sein Personal bestehe immer aus einem Koch und einem Diener. Für den Koch könne er sich verbürgen. Der Mann sei nun schon über vier Jahre in seinen Diensten.

Mit dem Diener lagen die Dinge nicht so einfach. Während der letzten drei Monate hatte Hadley dreimal seinen Diener wechseln müssen. Wir wünschten über das Äußere und den Leumund der Betreffenden nähere Aufschlüsse zu erhalten. Hadley, der seit fünfundzwanzig Jahren zu den leitenden Persönlichkeiten großer Eisenbahnunternehmungen gehörte, hatte sich im Laufe dieser Tätigkeit auch daran gewöhnt, in seinen Privatangelegenheiten die methodische Ordnung und Genauigkeit anzuwenden, die in großen Betrieben üblich ist. Er zog aus seinem Schreibtisch eine Kartothek, aus der sich alles Notwendige über die Referenzen, über die früheren Stellen und über die Führung sämtlicher Hausangestellten feststellen ließ, die er während der letzten zehn Jahre beschäftigt hatte.

Wir unterzogen die Kartothek einer näheren Prüfung.

Schon die dritte Karte, die uns in die Hände fiel, trug am Kopf die Aufschrift: „Percy Randolph“.

Sofort rief ich: „Halt!“

Hat Percy Randolph bei Ihnen gearbeitet?“ fragte ich verblüfft.

Ja – als Chauffeur und Diener. Ich bin aber fest überzeugt, daß er mit dem Verbrechen nichts zu tun hat. Er war ein ganz erstklassiger Mensch. Er hat vor acht Jahren bei einem gewissen Dr. Six in Stockton gearbeitet. Bei mir war er acht oder neun Monate in Stellung. Vor etwa drei Monaten hat er gekündigt, um eine Stellung in einer Garage anzunehmen. Seine Arbeitsstelle ist nicht weiter als einen Straßenblock von hier entfernt. Ich habe ihn erst in letzter Zeit wieder mehrere Male dort gesehen.“

Wir konnten feststellen, daß Hadley sich nicht davon überzeugt hatte, ob Percy tatsächlich in Stockton acht Jahre lang in derselben Stellung gewesen sei.

Das genügt uns vollkommen“, erklärte ich dem Bestohlenen. „Percy ist derjenige, den wir suchen, derjenige, der die anderen informiert hat. Er ist ein ehemaliger Zuchthäusler, der erst vor nicht viel mehr als einem Jahr aus dem Staatszuchthaus in San Quentin entlassen worden ist.“ Und zu meinem Kollegen gewendet: „Wir wollen doch einmal nach der Garage hinübergehen.“

Vom Vorarbeiter der Garage hörten wir, daß Percy Randolph bis zum Tag vorher regelmäßig in der Garage gearbeitet hatte. Jetzt habe er sich krank gemeldet. Er gab uns eine Adresse. Percy wohnte nicht in San Franzisko, sondern in Oakland. Wir mußten also über die Bai hinüber.

Während der Überfahrt schlug George vor, ehe wir Percy aufsuchten, zunächst einmal bei der Kriminalpolizei in Oakland vorzusprechen. Ich stimmte ihm zu. Wir suchten Kriminalkommissar Peterson auf und baten ihn, uns die Kriminalbeamten Tim Flynn und Alexander Sheoff mitzugeben, die beide mit dem Negerviertel und seiner Bevölkerung besonders vertraut waren.

Habt ihr schon vorher einmal mit Randolph zu tun gehabt?“ erkundigte sich Flynn.

Nein“, erklärte Loughlin, „ich kann mich jedenfalls nicht an ihn erinnern. Wir wissen aber, daß er ein ehemaliger Sträfling ist.“

Jedenfalls gehen Sie nicht fehl, wenn Sie ihn im Verdacht haben“, meinte Flynn. „Ich habe ihn vor vier Jahren wegen eines Autodiebstahls hinter Schloß und Riegel gebracht. Und er ist ein Bursche, der nicht gut tut. Wir müssen übrigens schnell arbeiten, wenn wir ihn erwischen wollen. Im Negerviertel bleiben die Leute alle nicht lange an derselben Stelle.“

Wir zeigten ihnen Percys angebliche Adresse, aber unsere Kollegen von der Oakländer Polizei wollten sich darauf gar nicht einlassen.

Es gibt aber zwei Kneipen, wo er bestimmt zu finden ist. Wir werden Sie bei Dikes Kneipe absetzen und selbst erst einmal nach Flemings Kneipe hinunterfahren. Sie werden gut tun, sich nur in der Nähe der Wirtschaft aufzuhalten, bis wir zurückkommen.“

Sie hatten uns eine gute Beschreibung von Percy gegeben. Wir begnügten uns also, die Zugänge des Lokals zu überwachen, das uns unsere Kollegen angegeben hatten, und zu warten, bis sie zurückkommen würden, um die Durchsuchung vorzunehmen. Aber unsere Kollegen waren vom Glück begünstigt. Das erste, was sie in Flemings Kneipe erblickten, war eine angeregte Gesellschaft von acht Negern, vier Männern und vier Frauen, und Percy als Mitglied der Tafelrunde.

Hallo, Percy!“ begrüßte ihn Flynn. „Kommen Sie doch bitte mal mit raus, wir haben mit Ihnen zu sprechen.“

Percy war wie vom Donner gerührt. Er wurde gelb, zögerte einen Augenblick, entschloß sich aber dann aufzustehen und langte nach seiner Kappe.

Schon gut“, meinte Flynn. „Sie können Ihre Kappe ruhig hängen lassen. Wir möchten Sie bloß mal einen Augenblick allein sprechen.“

Percy besann sich etwas, dann aber verkündete er:

Ich glaube, ich nehme lieber meine Mütze mit. Werde wohl für mächtig lange Zeit nicht mehr hierher zurückkommen.“

Unsere Kollegen nahmen Percy also mit und trafen wieder mit uns zusammen. Wir unterzogen den Neger sofort einem flüchtigen Verhör.

Sind Sie bereit uns freiwillig nach San Franzisko zurückzubegleiten?“ fragte ich. „Andernfalls werden wir uns einen Haftbefehl verschaffen müssen.“

Ja, Herr, ich bin bereit mitzukommen. Sie brauchen keinen Haftbefehl. Sie sind nicht umsonst herübergefahren.“

Brunner 3

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