Hans Thiers: Drei Kinder entkamen einer tödlichen Tragödie (DDR, Gera, 1983)

Wie im vorgenannten Fall, plante auch Jutta K. aus Gera, Juri-Gagarin-Straße, einen erweiterten Selbstmord. Schon seit längerem war die Beziehung zu ihrem Lebensgefährten von Problemen begleitet. Als geschiedene Frau und Mutter von drei Kindern hatte sie es auch nicht immer einfach, weshalb sie auf keinen Fall ihren Partner verlieren wollte, der ihr als Stütze galt und Geborgenheit verlieh. Doch Peter L. wurde die Beziehung zu anstrengend, weshalb er Jutta K. verlassen wollte.

Im Verlauf des 31. Mai 1983 führten beide ein letztes Gespräch, an dessen Ende Peter L. bei seiner Meinung blieb und Jutta K. unmißverständlich zu verstehen gab, daß er die Beziehung zu ihr nicht mehr aufrechterhalten wolle.

Jutta K. war daraufhin verzweifelt und sah für ihr weiteres Leben keinen Sinn mehr. Handlungsunfähig angesichts ihrer Probleme, kamen ihr Selbstmordgedanken. Auf keinen Fall aber wollte sie ihre drei Kinder sich selbst überlassen. Wenn sie schon den Entschluß faßte, sich das Leben zu nehmen, dann sollten ihre drei Kinder mit ihr zusammen sterben.

Die drei, acht und neun Jahre alten Kinder ahnten nicht, was der Mutter am Abend des 31. Mai 1983 durch den Kopf ging. Die verzweifelte Frau schrieb Abschiedsbriefe an verschiedene ihr nahestehende Personen.

Gegen 21.00 Uhr wollte sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Da sie sich entschieden hatte, ihre drei Kinder mit in den Tod zu nehmen, bereitete sie vier Tassen vor. Dann löste sie für jede Person „Benedorm“-Schlaftabletten in Wasser auf. Dem dreijährigen Sohn gab sie 20 Tabletten, sich und den zwei Töchtern jeweils 50.

Nachdem alle drei brav ausgetrunken hatten, brachte sie die Kinder ins Bett. Unmittelbar danach nahm sie die für sie vorgesehene Dosis zu sich und legte sich ebenfalls schlafen.

Am nächsten Tag, dem 1. Juni 1983, wurde jedoch die neunjährige Tochter gegen 13.00 Uhr wach. Sie versuchte, ihre zwei Geschwister und die Mutter zu wecken. Diese waren in Tiefschlaf verfallen, hätten aber auch schon tot sein können.

Die Neunjährige rannte in ihrer Verzweiflung zur Nachbarin und erzählte die Merkwürdigkeit. Die Nachbarin überzeugte sich von der Situation und leitete sofort die ersten Hilfsmaßnahmen ein. Die DMH lieferte die Mutter samt Kindern unverzüglich ins Bezirkskrankenhaus Gera zur weiteren medizinischen Betreuung ein. Die Ärzte fanden die Kindesmutter in einem bewußtlosen Zustand vor. Die anderen zwei Kinder waren zwar ansprechbar, aber weiterhin stark benommen. Alle überlebten, weil die Menge an Schlafmittel schlichtweg nicht ausgereicht hatte. Jutta K. mußte sich in der Folge für ihre strafbare Handlung an den drei Kindern vor Gericht verantworten. Nach ihrer Genesung wurde sie inhaftiert, wegen dreifachen versuchten Mordes angeklagt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Stellungsnahme

In einer „Stellunsgnahme“ vom 24. August 1983 gab sie folgendes an: „Ich wollte am 31.5.83 mit meinen Kindern aus dem Leben gehen. Mir war an diesem Tag alles gleich. Ich wollte nur noch sterben. Den Bruch mit meinem Freund konnte ich nicht verkraften. Meine Kinder liebten diesen Mann genauso wie ich und er war für sie der Vater. Auch für meine Kinder wäre dieser Bruch sehr schwer gewesen. Leider habe ich an diesem Tag nicht überlegt und mich niemand anvertraut und auch niemand um Hilfe gebeten. Es hätte, das weiß ich nun, auch einen anderen Weg gegeben. Ich wollte meine Kinder auch nicht allein zurück lassen. Sie hätten doch dann, wo sie doch keinen Vater haben, auch keine Mutter mehr gehabt. Kein Heim und auch keine Pflegeeltern hätten ein zu Hause ersetzen können. Ich liebe meine Kinder über alles und nur aus diesen Gründen wollte ich meine Kinder mitnehmen. Ich wollte ihnen nur das Leid ersparen, welches ich selbst am eigenen Leib erlebt habe. Ich habe sehr viel durchgemacht und wollte nicht noch mehr durchmachen. Ich bereue meine Tat sehr und versuche nun, soweit es möglich ist meinen Fehler wieder gutzumachen, um meinen Kindern später wieder eine gute Mutter zu sein. Ich hoffe auch, das mir die Möglichkeit gegeben wird, es zu beweisen.“

Ergänzung zur Stellungsname zu meiner Tat

Am 1. September 1983 gab sie noch eine Ergänzung ab: „Am 30. Mai 83 erfuhr ich von einer Bekannten, das mich mein Freund nur belüge und ausnutze. Mir gelang es an diesem Tag nicht mehr ihn zu erreichen. Am 31. Mai 83 stand ich früh wie immer 5 Uhr auf und machte meine Kinder fertig für die Schule bzw. für den Kindergarten. Wir gingen gemeinsam gegen 5.45 Uhr aus dem Haus. Meine beiden Mädchen begaben sich in den Schulhort und ich schaffte meinen Jungen in den Kindergarten. Gegen 6.15 Uhr war ich auf meiner Arbeitsstelle, wo ich sofort den Peter L. anrief. Ich bat ihn um eine Unterredung im Laufe des Tages. Er sagte mir das es besser ginge wenn ich Urlaub hätte oder wenn ich zu Hause wäre da er nicht wüßte wenn er die Zeit dazu hätte. Daraufhin bat ich meine Chefin um einen Tag Urlaub. Diesen genehmigte sie mir und ich begab mich wieder nach Hause. Unterwegs rief ich den Peter L. ein zweites Mal an und sagte ihm das ich mir Urlaub genommen habe. Wir verabredeten uns für 10 Uhr an der Eisdiele in der Kurt Keicher Straße. []

Gegen 10 Uhr begab ich mich an den Treffpunkt. Peter L. kam etwas nach 10 Uhr mit dem Auto. Wir unterhielten uns nur kurz. Er sagte mir, ihm wachsen die Probleme und der Ärger über den Kopf und er wollte somit zwischen uns Schluß machen. Das traf mich wie ein Schlag und ich antwortete er solle ihr einen Kranz kaufen und lief schnell nach Hause zurück. Von diesem Zeitpunkt an konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen und dachte nur noch daran sterben zu wollen. In meinem Leben hatte ich nur Pech und dies war der größte Schlag.

In der Hoffnung, er würde doch noch zu mir zurück kommen wartete ich den ganzen Tag. Nachmittag holte ich meinen Jungen aus dem Kindergarten ab und begab mich gleich wieder nach Hause. Bald darauf kam meine Freundin zu mir. Sie unterhielt sich mit mir und wir tranken eine Flasche Pilsner zusammen. Ich hatte vorher schon eine Flasche getrunken. Von dem Gespräch mit meiner Freundin weiß ich nichts mehr, ich hatte mich total damit abgefunden abends sterben zu wollen. Es war auch schon der Zeitpunkt überschritten bis zu dem Peter L. noch hätte kommen können. Es war ca. 16.30 Uhr. Bald danach verließ mich auch meine Freundin. Meine Mädchen waren da auch zu Hause und sie spielten gemeinsam mit meinem Sohn auf dem Spielplatz hinter dem Haus.

Ich fing dann an Abschiedsbriefe an meine Freundin C. S. und an Peter L. zu schreiben. Danach gab ich meinen Kindern Abendbrot und badete sie. Nach dem Sandmann 18 Uhr legte ich meinen Jungen ins Bett und räumte noch etwas die Wohnung auf. Danach, meinen Mädchen erlaubte ich Fern zu sehen fuhr ich mit der Straßenbahn nach Lusan zu meiner Freundin C. S. Ihr übergab ich die zwei Briefe, die sich in einem Umschlag adressiert an Peter L. befanden. Bei C.S. hielt ich mich nicht lange auf (ca ½ Std). Bei ihr versuchte ich auch so natürlich wie möglich zu wirken. Ich glaube auch das es mir gelang aber es hat mir viel Kraft gekostet. Nach meinem Besuch bei C. S. fuhr ich gleich mit der Straßenbahn wieder nach Hause. Meine Kinder die dann alle drei noch munter waren und im Wohnzimmer saßen erzählten mir noch ihre Probleme des Tages. Ich ging dann ins Schlafzimmer mit der Absicht die Schlaftabletten zu kontrollieren und zu zählen. Ich stellte fest das es mehr waren als ich brauchte um zu sterben und da kam mir der Gedanke meine Kinder mitzunehmen.

Ich ging in die Küche zurück, die Tabletten ließ ich im Schlafzimmer, und schrieb noch zwei Abschiedsbriefe an K.K. und Familie J. Diese brachte ich gleich zum Briefkasten. Als ich wieder zu Hause war schrieb ich noch zwei Briefe die ich ins Schlafzimmer auf den Nachtschrank neben mein Bett legte. Es war mein Testament und ein Brief an die Polizei.

Ich begab mich mit den Tabletten in die Küche. Dort nahm ich 4 Tassen aus dem Schrank und fing an die Tabletten aufzuteilen. In meine Tasse kamen 50 Stück. Den Rest von 60 oder 70 Tabletten verteilte ich auf die 3 Tassen die für meine Kinder bestimmt waren. Zwischendurch rief ich meinen Kindern zu sie sollen das Fernsehgerät ausschalten und ins Bett gehen. Meine Kinder legten sich daraufhin auch ins Bett. In die 3 Tassen für meine Kinder gab ich dann Wasser zu, das diese knapp halb voll waren. Dann nahm ich eine Tasse und begab mich ins Kinderzimmer. Ich begründete meinen Kindern das Getränk damit, das sie damit schneller einschlafen würden um am nächsten Morgen ausgeschlafen zu sein. Die erste Tasse bekam meine Tochter Y. Ich ging in die Küche zurück und holte die zweite Tasse die meine Tochter M. bekam. Die letzte Tasse bekam mein Sohn R., die ich auch einzeln aus der Küche holte. Die Tassen spülte ich dann nur mit Wasser ab und ließ sie in der Spüle liegen. Als ich dann meinen Kindern, meinen Mädchen Gute Nacht wünschte fing mein Junge an zu brechen. Ich ging sofort zu ihm um ihn hochzunehmen und zu beruhigen. Ich legte ihn dann neben sein Bett auf sein Kopfkissen und überzog sein Bett frisch. Ich zog ihn auch ein neuen Schlafanzug an. Meine Kinder schliefen alle in dieser Zeit ein. Meinen Sohn legte ich dann zurück in sein Bett und brachte die schmutzigen Sachen ins Bad. Ich steckte sie in den Kohleneimer. Nun bemerkte ich das ich auch voll Erbrochenem war und ging mich umziehen im Schlafzimmer. Mein Nachthemd steckte ich auch in den Kohleneimer. Dann ging ich noch einmal ins Kinderzimmer um mich von meinen Kindern zu verabschieden.

Von dort aus nahm ich aus der Küche meine Tasse mit den Tabletten ließ etwas Wasser zu und begab mich in mein Schlafzimmer. Dort setzte ich mich noch auf den Bettrand und sah auf meine Armbanduhr. Es war 21.55 Uhr. Daraufhin trank ich meine Tasse aus und legte mich hin. Ich schlief sofort ein. Ich möchte hier noch einmal anmerken das ich meine Tat heute nach reiflicher Überlegung sehr bereue. Ich bin bereit meinen Fehler wieder gut zu machen. Ich liebe meine Kinder sehr und möchte sie auch wieder haben. Eine solche oder ähnliche Tat werde ich nie wieder begehen.

Im nervenfachärztlichen Gutachten wurde der Beschuldigten eine verminderte Zurechnungsfähigkeit zuerkannt und nach ihrer Haftentlassung psychologische Betreuung vorgeschlagen.

1 Dieses sozio-psychologische Phänomen ist vor allem bei Männern ausgeprägt. Sie werden nach Begehung eines erweiterten Suizids seit geraumer Zeit „Familienauslöscher“ genannt. Die Chronik dieser Familientragödien ist sehr lang.

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