Familie Z. aus Ronneburg in der Berggasse hatte sich auf die neue größere Wohnung gefreut. Hier gab es mehr Platz für die zwei Kinder. Die Tochter war drei Jahre alt und die Kleinste erst vor drei Monaten geboren. Das Familienglück schien geebnet, doch auf einmal war der Mutter alles zu viel. Mit zwei Kindern und der größeren Wohnung fühlte sie sich überfordert. Ihre Aufgaben, die Kinder zu versorgen und obendrein die große Wohnung in Ordnung zu halten, schürten bei ihr unvorstellbare Ängste.
Ob die 23Jährige wirklich überfordert war, Zukunftsängste hegte oder eine krankhafte Störung entwickelte, ist nicht geklärt. Ihrem Mann vertraute sie sich nicht an, suchte ohne ihn eine Lösung und fand sie schließlich: sie beschloß, sich und die Kinder zu töten. Diese Handlungsweise nennt man einen „erweiterten Suizid“.
Mütter wollen in diesen speziellen Situationen eigentlich immer zusammen mit ihren Kindern sterben.1 Anderen Menschen, dem eigenen Ehepartner, Verwandten oder Bekannten, möchten sie die eigenen Kinder nicht überlassen. Diese Täterinnen befürchten dann immer, daß es den Kindern danach nicht gut gehen könnte, daß sie nicht richtig versorgt würden oder schlimmstenfalls in ein Heim kämen. Sie möchten ihre lieben Kinder nicht – allein und auf sich gestellt – zurücklassen. Aus diesem psychologischen Kreisel kommen diese Straftäterinnen dann nicht mehr heraus. Sie vertrauen sich niemanden an. Selbst der geliebte Ehepartner ahnt nichts von dieser Entschlußfassung. Die Liebe zum Partner wird ausgeblendet, die Täterinnen wollen nur noch gemeinsam mit den Kindern sterben.
So auch bei Frau Z. aus Ronneburg. Sie war an jenem Tag im März mit den Kindern allein zu Hause. Ihr Ehemann arbeitete bei der SDAG Wismut im Transportunternehmen im Schichtensystem und kam deshalb wöchentlich zu unterschiedlichen Zeiten nach Hause. Er hatte aber an diesem Tag von 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr Mittelschicht.
Die junge Frau setzte an diesem Tag ihren Plan in die Tat um in der Sicherheit, daß der „erweiterte Suizid“ nicht schiefgehen könne und ihr Ehemann nach der Arbeit drei tote geliebte Menschen auffinde. Eine bizarre Vorstellung!
Sie verriegelte in den Nachmittagstunden, nachdem ihr Ehemann die Wohnung gegen 14 Uhr verlassen hatte, Haus- und Wohnungstür und ging mit den zwei Kindern in die Küche. Da sie zu diesem Zeitpunkt allein in dem Haus wohnten, waren sie ungestört. Jetzt nahm die Mutter eine Decke, breitete sie auf dem Fußboden aus und öffnete anschließend die fünf Brennerhähne des Gasherdes, so daß unverbranntes Leuchtgas ausströmen konnte.
Zusammen mit den Töchtern erwartete sie den Tod, beschwichtigte ihre Älteste aber, nur gemeinsam zu schlafen. Da das Kind nicht einschätzen konnte, was die Mutter vorhatte, waren die zwei Kinder dem selbstmörderischem Tun der Mutter ausgesetzt.
Es wird gegen 18.30 Uhr gewesen sein, als der Ehemann der jungen Familie – eher als geplant – von der Mittelschicht nach Hause kam. Er war schon verwundert, daß die Hauseingangs- sowie die Wohnungseingangstür abgeschlossen waren. Das war für diese Uhrzeit nicht üblich. Als er die Wohnung betrat, stellte er starken Gasgeruch fest. Die Türen zu den anderen Zimmern waren alle zugeklinkt, die zur Küche ebenfalls. Auch alle Fenster in der Wohnung waren geschlossen.
Zu diesem Zeitpunkt wurde ihm klar, daß etwas nicht stimmte. Er begab sich umgehend in die Küche und sah die Tragödie vor sich. Seine Frau hatte mit den zwei Kindern Selbstmord mittels Gas begangen. Er schloß umgehend die fünf Brennerhähne und öffnete das Fenster der Küche, um das Gas entweichen zu lassen. Jetzt sah er auf der Straße eine Frau. Er rief ihr zu, daß sie einen Arzt verständigen solle. Da kein Telefon in der Nähe war und kein Arzt kam, nahm er die beiden Kinder und brachte sie sofort ins Krankenhaus nach Ronneburg. Die DMH des Krankenhauses Ronneburg fuhr jetzt sofort in die Wohnung und holte die verletzte Mutter. Für das Kleinkind kam jede Hilfe zu spät. Es war an dem Stadtgas verstorben. Die Kindesmutter und die dreijährige Tochter hatten vorerst überlebt, wurden jedoch mit hochgradiger Gasvergiftung ins Bezirkskrankenhaus Gera eingeliefert.
Die Kindesmutter überlebte den Suizid, ihre Tochter starb am 19. August 1983 im BKH Gera an den Folgen der Kohlenmonoxid-Intoxikation. Ihr Suizidversuch hatte das frühzeitige Ende zweier unschuldiger Leben gefordert.
Nachdem die Beschuldigte vernehmungsfähig war und ihr Gesundheitszustand sich stabilisiert hatte, wurde sie in die Untersuchungshaftanstalt Gera eingewiesen. Eine nervenfachärztliche Begutachtung ergab, daß sie zum Zeitpunkt ihrer strafbaren Handlung vermindert zurechnungsfähig war. Aus diesem Grund wurde sie nur zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Ihr Vorhaben war nicht aufgegangen, sie hatte überlebt und mußte jetzt vor allem mit ihrer strafrechtlichen und moralischen Schuld leben. Da sie sich im Strafvollzug positiv entwickelte, wurde sie nach sieben Jahren Haftverbüßung am 20. August 1990 entlassen.