Der Fall Grete Beier – nach Hugo Friedländer

Marie Margarethe Beier (auch Grete Beyer genannt), wurde als letzte Frau im Königreich Sachsen öffentlich hingerichtet. Ihr Kopf fiel am 23. Juli 1908 unter dem Fallbeil in Freiberg. 

Die Bürgermeisterstochter Grete Beier war eine auffallende Schönheit. Die träumerischen Augen des entzückend schönen Mädchens ließen es nicht ahnen, daß diese junge Dame eine geradezu grausame Verbrecherin werden könnte, die ihr jugendliches Leben auf dem Schafott beenden werde. Eine ganz besondere Zuneigung schien sie zu dem Handlungsgehilfen Hans Merker gehabt zu haben. Um die Folgen dieses Verkehrs zu beseitigen, hatte sie sich wiederholt gegen die Bestimmungen des § 218 des StGB. vergangen. Inzwischen hatte sie in Chemnitz einen hübschen, äußerst stattlichen Mann von vierunddreißig Jahren, den Oberingenieur Kurt Preßler, kennengelernt. Preßler war verheiratet, lebte aber von seiner Frau getrennt. Er betrieb die Scheidungsklage. Die schöne Bürgermeisterstochter, die er in Chemnitz auf einer Festlichkeit kennengelernt, hatte es ihm angetan. Er näherte sich ihr und erklärte: Er sei bereit, sich mit ihr zu verloben. Sobald er von seiner Frau geschieden sein werde – das dürfte in wenigen Monaten bestimmt der Fall sein – werde er sie heiraten. Grete Beier erklärte sich damit einverstanden, zumal sie in Erfahrung gebracht hatte, daß Preßler ein großes Vermögen besitze. Die Liebe zu Preßler schien aber nicht groß gewesen zu sein, denn während ihrer Verlobungszeit stand sie mit Merker fortgesetzt in intimstem Verkehr. Sie brachte viele Nächte bei ihm zu. Gleichzeitig versicherte cherte sie ihrem Bräutigam Preßler, daß er allein ihr Herz besitze. Am 13. Mai 1907 kam Grete Beier zu ihrem Bräutigam Preßler, der in Chemnitz bereits eine Wohnung gemietet hatte, um seine angebetete Braut heimführen zu können, aufs Zimmer. Preßler lag gerade auf der Chaiselongue und war in heiterster Laune. Er freute sich, als er das anmutige Mädchen sah. Grete trat an die Chaiselongue und bedeckte den Mund Preßlers mit einer Flut heißester Küsse. »Nur dich allein liebe ich, nur dir allein will ich angehören«, beteuerte die schöne Grete. Preßler zog »Gretchen« zu sich hinüber. »Wie gern küsse ich dies Rosenmündchen,« seufzte er. Grete Beier: »Damit du, heißgeliebter Kurt, auch siehst, daß ich dir von ganzem Herzen zugetan bin, habe ich dir etwas Schönes vom Jahrmarkt mitgebracht. Erst wollen wir aber Kaffee trinken.« Nach dem Kaffee lud Preßler »sein herziges Gretchen« ein, mit ihm ein Gläschen Eierkognak zu trinken. »Gretchen« lehnte ab. »Dann gieße mir wenigstens ein Gläschen ein, es wird mir um so besser schmecken,« sagte Preßler. Das will ich gern tun, versetzte »Gretchen« mit süßem Lächeln. »Gretchen« goß den Eierkognak in ein Gläschen und ließ unbemerkt ein Stückchen Zyankali in das Glas gleiten. Preßler sagte: »Auf dein Wohl, mein herziges, heißgeliebtes Kind,« und leerte das Glas mit einem Zuge. In demselben Augenblick sank Preßler um, er gab keinen Laut mehr von sich. Grete Beier wollte aber »ganze« Arbeit machen. Sie zog daher eiligst einen geladenen Revolver aus ihrem Busen. Der Augenblick war günstig. Preßler lag, heftig röchelnd, mit geöffnetem Munde auf der Chaiselongue. Das dämonische Weib steckte ihrem Opfer den Revolver in den Mund und drückte ab. Das Gehirn spritzte weit im Zimmer umher, ein heftiger Blutstrom ergoß sich aus dem zerschmetterten Kopfe Preßlers. Die verruchte Mörderin war reichlich mit Blut besudelt. Sie vermied es aber, sich vom Blut zu reinigen. Eiligst verließ sie die Stätte ihres infamen Verbrechens. Die gebrochenen Augen ihres ermordeten Bräutigams grinsten unheimlich, als wollten sie sie anklagen.

Der Abend begann bereits zu dämmern, das Mordzimmer lag im Halbdunkel. Von einer benachbarten Kirche ertönte das Abendgeläut. Ein heftiger Schauer überfiel sie. Die Mörderin lief, so schnell sie es vermochte, zum Bahnhof, um mit dem nächsten Zuge nach Freiberg zu fahren. Die Menschen, die ihr auf der Straße begegneten, ahnten selbstverständlich nicht, daß die feingekleidete, hübsche, junge Dame eine grausame Mörderin war. Mit Blut besudelt, langte des Bürgermeisters Töchterlein in Freiberg an. Sie begab sich in eine Gesellschaft, wo viel gelacht, gegessen und getrunken, musiziert und getanzt wurde. Niemand merkte der liebreizenden Bürgermeisterstochter auch nur das geringste ringste an. Gretchen war ungemein heiter und seelenvergnügt. Sie erzählte ihren Freundinnen: Ihr Bräutigam freue sich, daß er sie sehr bald werde als[207] Gattin heimführen können, er habe bereits eine sehr hübsche Wohnung gemietet. »Ich bin alsdann Frau Oberingenieur,« rief sie freudig aus.

Kehren wir nun an die Stätte des Verbrechens zurück. Etwa eine Stunde nach der grausigen Tat trat der Bruder des so jäh Ermordeten, Gerichtsreferendar Karl Preßler, in das Mordzimmer. Entsetzt wich er zurück, als er seinen Bruder als Leiche auf der Chaiselongue liegen sah. Referendar Preßler war sofort der Überzeugung, sein Bruder habe Selbstmord begangen. Der Revolver lag neben der Leiche. Einen Schuß hatte er sich in den Mund gegeben. So handelt nur ein Selbstmörder. Auf dem Tisch lag ein Brief, der zweifellos von seinem Bruder geschrieben war. In diesem Briefe bat er den Bruder um Verzeihung, daß er ihm das Schreckliche angetan habe, er war aber genötigt, aus dem Leben zu scheiden. Er bitte ihn, seine Braut und alle Angehörigen zu trösten. Auch die polizeiärztliche Untersuchungskommission gewann nach eingehender Prüfung die Überzeugung, daß Preßler Hand an sich gelegt habe. Die Leiche wurde deshalb in das Krematorium für Selbstmörder geschafft und dort eingeäschert. Inzwischen fand man im Nachlaß des Entseelten ein Testament, in dem Grete Beier zur Universalerbin eingesetzt war. Diese Entdeckung sowie das Verhalten der Grete machte den Referendar Preßler etwas stutzig. Er ließ den erwähnten Brief und das Testament durch Schreibsachverständige prüfen. Letztere gelangten zu der Überzeugung, daß beides gefälscht war. Referendar Preßler erstattete sogleich Anzeige. Grete Beier, die sich bereits seit einiger Zeit wegen Unterschlagung eines Sparkassenbuchs in Untersuchungshaft befand, gestand nach anfänglichem Leugnen, daß sie den Brief und das Testament gefälscht und alsdann Preßler ermordet habe. Sie gestand auch, daß sie lange vor dem Morde eine Brander Botenfrau beauftragt hatte, ihr in einer Freiberger Waffenhandlung einen Revolver mit scharfen Patronen zu kaufen. Der Waffenhändler hatte aber die Verabfolgung des Revolvers abgelehnt, weil die Botenfrau keine Bescheinigung hatte. Am folgenden Tage kam die Botenfrau mit einer von Grete Beier ausgestellten Bescheinigung, darauf erhielt sie den Revolver. Der Waffenhändler gab aber nur Platzpatronen und machte dem Bürgermeister Beier von dem Waffenkauf seiner Tochter telephonische Mitteilung. Der Bürgermeister nahm darauf seiner Tochter den Revolver ab und brachte ihn nach einigen Tagen dem Waffenhändler zurück. Es gelang alsdann der Bürgermeisterstochter, sich einen Revolver mit scharfen Patronen zu beschaffen, den die Brander Polizeibehörde mit Beschlag belegt hatte, da der Besitzer des Revolvers den Versuch gemacht hatte, sich zu erschießen. Mit diesem Revolver hatte Grete Beier ihren Bräutigam, den Oberingenieur Preßler, erschossen.

Am 4. Juni 1908 wurden Grete Beier und Hebamme Kunze von der Strafkammer zu Freiberg in nichtöffentlicher Sitzung wegen Abtreibung, im Sinne des § 218 des StGB., unter Zubilligung mildernder Umstände, zu je einem Jahre Gefängnis verurteilt. Am folgenden Tage, den 5. Juni 1908, hatte sich Grete Beier vor demselben Gerichtshof in öffentlicher Sitzung wegen versuchter Anstiftung zum Morde, Testamentsfälschung, schweren Diebstahls und schwerer Urkundenfälschung zu verantworten. Mit ihr waren angeklagt Hebamme Kunze wegen Beihilfe zum Diebstahl und Begünstigung und Handlungsgehilfe Hans Merker wegen Hehlerei. Letzterer, damals 27 Jahre alt, machte einen sehr unsympathischen Eindruck. Er verbüßte zur Zeit wegen Unterschlagung eine zweijährige Gefängnisstrafe. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Dr. Rudert. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Manuel. Die Verteidigung hatten die Rechtsanwälte Dr. Knoll (Dresden) und Vollhering (Freiberg) übernommen. Grete Beier wurde beschuldigt, aus einer verschlossenen Kassette, die dem Armenhausverwalter Kröner gehörte, 300 Mark bares Geld und ein Sparkassenbuch buch über 4234 M. genommen zu haben. Mit diesem Sparkassenbuch war sie auf die Freiberger Bank gegangen, hatte sich als Erna geborene Kröner ausgegeben und das Geld abgehoben. Sie hatte außerdem aus der Untersuchungshaft heraus an Merker einen Brief geschrieben), in dem sie ihn aufforderte, eine Frau Schlegel, die von ihrem Diebstahl wußte, zu ermorden.

Grete Beier bestritt nur die Testamentsfälschung, alles andere gab sie zu. (…)Nach nur kurzer Beratung bejahten die Geschworenen beide Schuldfragen.

Der Gerichtshof verurteilte darauf die Angeklagte zum Tode und, unter Einrechnung der bereits erkannten Strafe von fünf Jahren Zuchthaus, zu acht Jahren Zuchthaus und zu dauerndem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.

Grete Beier nahm das Urteil ruhig und gefaßt entgegen. Sie sprach noch einige Worte mit ihrem Verteidiger und verabschiedete sich von ihm durch Händedruck. Sie ließ sich darauf widerstandslos zurückführen.

Die Geschworenen unterstützten einstimmig das Begnadigungsgesuch des Verteidigers. Der Schwurgerichtsverhandlung hatten im Auftrage des Sächsischen Justizministeriums ein Geheimer Regierungsrat beigewohnt. Nach dessen zweimaligem Vortrage entschied der König von Sachsen: Er fühle sich nicht veranlaßt, von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen. Infolgedessen erfolgte am 23. Juli 1908 im Hofe des Freiberger Gerichtsgefängnisses durch den sächsischen Landesscharfrichter Brandt (Hohenlinde bei Oederan) die Hinrichtung der Grete Beier mittels Guillotine. Die Guillotine wurde zwei Tage vor der Hinrichtung von Dresden nach Freiberg geschafft. schafft. Grete Beier betrat, geführt von ihrem Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Knoll (Dresden) und dem Gefängnisgeistlichen, Pastor Schmidt (Freiberg), ruhig und gefaßt das Schafott. Sie rief mit lauter Stimme: »Vater, Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!« Kaum hatte sie das letzte Wort gesprochen, da sauste das haarscharfe Messer hernieder, das glatt den Kopf vom Rumpfe trennte.

Scharfrichter Brandt rief: »Herr Staatsanwalt, das Urteil ist vollstreckt.« Das Gerichtsgebäude war trotz der frühen Morgenstunde während der Hinrichtung von einer Ungeheuern Menschenmenge umlagert. Zwei Tage vor der Hinrichtung traf die Mutter der Mörderin, Frau Bürgermeister Beier, die eine zweijährige Zuchthausstrafe in Waldheim verbüßte, in später Nachmittagsstunde in Begleitung von zwei Gefängnisbeamten im Freiberger Gerichtsgebäude ein. Sie wurde zu ihrer Tochter in die Zelle geführt. Der Abschied zwischen Mutter und Tochter war herzzerreißend.

Quelle/Literatur: Der gekürzte Text stammt von Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung. 1911-1921, Band 12, S. 204-240.

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