„Bei einer Brandkatastrophe in der Halberstädter Obdachlosenunterkunft starben am 2. Dezember 2005 neun Männer. Die 20 Blechcontainer, die der Stadt seit 1996 als Unterkunft für Menschen ohne festen Wohnsitz dienten, brannten völlig aus. Vermutlich war eine brennende Zigarette Auslöser dieser Katastrophe. Ein Anschlag von außen werde
jedoch ausgeschlossen«, so ein Polizeisprecher.
Zur näheren Erläuterung folgt ein Einsatz- und Pressebericht der Halberstädter Feuerwehr, da ich damals noch nicht über die Details des Feuerwehreinsatzes Kenntnis besaß: »Die Halberstädter Feuerwehr war am 02. Dezember gegen 5.36 Uhr alarmiert worden. Drei Minuten später waren die ersten Brandbekämpfer vor Ort. Zu dieser Zeit schlugen aus den Fenstern der Wohncontainer in der Wehrstedter Straße bereits die Flammen. Rasend schnell – so Augenzeugen – habe sich das Feuer in der Unterkunft für 25 Obdachlose ausgebreitet. Fünf Männer hatten sich schwer verletzt auf die Straße am Bahngelände retten können. Einer von ihnen wurde am Abend festgenommen. Der 55-Jährige hatte bei seiner Vernehmung zugegeben, nach einem gemeinsamen Zechgelage in seinem Zimmer mit einer brennenden Zigarette in einem Sessel eingeschlafen zu sein. Als er erwachte, stand das Zimmer in Flammen. Die Ermittler gehen davon aus, daß diese Zigarette Auslöser der Katastrophe gewesen sein könnte. Drei Bewohner sprangen aus dem Fenster, zwei schafften es durch die Tür. Sie kamen wenig später mit Rauchvergiftungen und Brandverletzungen ins Krankenhaus. Alle sind außer Lebensgefahr. Einer der Überlebenden hatte noch versucht, durch Klopfen an den Zimmertüren, Mitbewohner zu alarmieren. Gegen 7 Uhr war das Feuer unter Kontrolle. Die Feuerwehr fand neun Tote. Ein Opfer lag im Flur. Er war dort auf dem Weg ins Freie zusammengebrochen. Die Obduktion der Leichen soll Klarheit über die genaue Todesursache schaffen. Allerdings werde die Untersuchung der Opfer, die zwischen 35 und 71 Jahre alt sind, bis Montag dauern. Sachsen- Anhalts Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) zeigte sich am Brandort erschüttert. Er lobte den Einsatz der Rettungskräfte.
«Die Tragik bestand darin, daß die Feuerwehr schnell vor Ort war, hervorragende Arbeit leistete, aber letztlich doch zu spät kam, um noch Leben zu retten. »Probleme mit den Containerbewohnern habe es in den vergangenen neun Jahren nie gegeben«, sagte Michael Haase vom Ordnungsamt Halberstadt. Es sei dort immer zivilisiert zugegangen. Brandmelder seien für den Komplex nicht vorgeschrieben gewesen. Im nächsten Jahr sollte die Genehmigung für das Heim auslaufen. Erste Gespräche über Ersatz oder Sanierung habe es in der Woche zuvor gegeben. Oberbürgermeister Harald Hausmann zielte auf praktische Hilfe. »Wir müssen uns jetzt um die Überlebenden kümmern. Sie brauchen etwas zum Anziehen und Waren des täglichen Bedarfs.« Es habe die Ärmsten der Armen getroffen. Tief bestürzt waren die Helfer in der Wärmestube. »Viele der Opfer kannten wir persönlich. Sie waren regelmäßig unsere Gäste«, sagte Franziskanerin Marieta Stohldreier. Man wolle die Verletzten mit Kleiderspenden unterstützen, wenn sie aus der Klinik kommen.« Soweit der Bericht auf der Webseite der Hauptamtlichen Wachbereitschaftder Halberstädter Feuerwehr.
Einen weiteren Fachaufsatz von Brandrat Harald Böer von der Hauptamtlichen Wachbereitschaft, den er in der Deutschen Feuerwehr-Zeitung im Februar 2006 veröffentlichte, möchte ich den Lesern, vor allem den Kameraden der Freiwilligen Feuerwehren, nicht vorenthalten: »Am 2. Dezember 2005 brannte in Halberstadt eine aus 16 Containern aufgebaute Wohnanlage komplett aus. Dabei kamen neun Menschen ums Leben. Den zuerst eintreffenden Feuerwehrleuten bot sich folgender Anblick: Aus der offenen straßenseitigen Eingangstür sowie aus allen auf der Ostseite befindlichen Fenstern loderten bereits Flammen. Lediglich auf der westlichen Seite der Containeranlage war der Kunststoffrollladen noch von zwei Fenstern intakt. Da davon auszugehen war, daß sich im Raum dahinter noch Personen befinden könnten, versuchten die Einsatzkräfte zunächst, den Rollladen aufzubrechen und mit einem Steckleiterteil in den Raum vorzudringen. Allerdings zündeten auch hier nach nur wenigen Sekunden die Rauchgase explosionsartig durch und der gesamte Raum stand in Flammen. Aufgrund der enormen Wärmestrahlung war das Eindringen in die Containeranlage und damit die Räume unmöglich. Eine Überlebenschance für noch im Container befindliche Personen war aufgrund der Brandausbreitung auszuschließen. Daher wurde entschieden, einen umfassenden Löschangriff von außen aufzubauen. Zeitweilig waren fünf Rohre zur Brandbekämpfung eingesetzt. Die Brandbekämpfung an sich gestaltete sich nicht sehr kompliziert, da durch die vorhandenen Fensteröffnungen jeder Container gut abgelöscht werden konnte. Da direkt an dem Brandobjekt die Bahnstrecke Halberstadt-Braunschweig vorbeiführt, wurde
durch die Polizei sicherheitshalber eine Sperrung der Strecke bis 7.30 Uhr veranlasst. Weiterhin waren Mitarbeiter der Halberstadtwerke vor Ort, um den gesamten Komplex vom Energienetz zu trennen. Um 6.22 Uhr forderte die Einsatzleitung die Beleuchtungsgruppe des THW-Ortsverbandes Halberstadt an. Diese traf um 7.10 Uhr mit drei Fahrzeugen und 16 Helfern ein und übernahm das Ausleuchten der gesamten Einsatzstelle. Ein Fachberater wurde der örtlichen Einsatzleitung zugeordnet. Nachdem gegen 6.40 Uhr die Brandbekämpfung im Wesentlichen abgeschlossen war, konnten die unter Pressluftatmer eingesetzten Trupps mit der Restablöschung in den Räumen und mit der Leichensuche beginnen. Die Suche nach den vermuteten neun Opfern gestaltete sich sehr schwierig, da die Körper bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und teilweise von Brandschutt bedeckt waren. Erst um 8.57 Uhr wurde die letzte (die neunte) Leiche gefunden. Während der Totenbergung gab es Irritationen hinsichtlich der genauen Anzahl der Toten: Beim nochmaligen Zählen wurden verkohlte Wäschestücke für einen menschlichen Körper gehalten. Um 11.45 Uhr rückten die letzten Kräfte der Feuerwehr ab. Es waren insgesamt 35 Pressluftatmer im Einsatz. Der Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt Klaus Jürgen Jeziorsky machte sich vor Ort ein Bild von der Brandkatastrophe. »Die Tragik ist«, so der Innenminister, »daß die Feuerwehr schnell vor Ort war, hervorragende Arbeit leistete, aber letztlich doch zu spät kam, um noch Leben zu
retten.« Die Brandopfer kamen zur Klärung der Identität ins Gerichtsmedizinische Institut in Magdeburg. Am 21. Dezember 2005 veröffentlichte die örtliche Presse, daß am Vortag alle Opfer nunmehr zweifelsfrei identifiziert seien. Nach dieser Veröffentlichung starben alle neun Männer im Alter zwischen 35 und 71 Jahren an den Folgen einer Rauchgasintoxikation. Danach waren sie bei Temperaturen von etwa 1000 °C bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Schlußbetrachtung: Bei einer Recherche zu ähnlichen Ereignissen im Zusammenhang mit Wohncontainerbränden ist aufgefallen, daß solche Brände gar nicht so selten sind. In den meisten Fällen war ein Totalschaden zu verzeichnen. Der Verfasser kann sich auch noch gut an einen eigenen Einsatz, einen Brand eines als Büroanlage genutzten Containerkomplexes, erinnern: Am 1. Oktober 1993 brannten in Halberstadt 84 Stahlprofilcontainer, welche dreifach gestapelt waren, fast vollständig aus. Als Brandursache wurde damals vorsätzliche Brandstiftung ermittelt. Die Ermittlungen zur Brandursache bei dem geschilderten Wohncontainerbrand dauern noch an. Die gute Zusammenarbeit zwischen Rettungsdienst, Polizei, THW und der Feuerwehr soll ausdrücklich hervorgehoben werden. Der gesamte Einsatz verlief trotz der vor allem psychischen Belastung der Helfer ohne Hektik, routiniert und reibungslos ab. Hervorzuheben sind auch die vielfältigen Angebote zur psychologischen Betreuung der vor
allem jungen Einsatzkräfte. Letztlich gab es drei Tage nach dem Einsatz eine umfangreiche Gesprächsrunde mit allen eingesetzten Feuerwehrkräften. Diese Gespräche führten zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen vom Kriseninterventionsteam des Arbeiter-Samariter-Bundes Halle/Saale durch. Eine richtige Entscheidung ist aus Sicht der Feuerwehr, daß die Stadt Halberstadt zukünftig keine Container für Wohnzwecke mehr einsetzen wird.«
Inzwischen sind über elf Jahre vergangen, und ich möchte zu diesem schlimmen Brand, der für alle Beteiligten ein wahrhaftes Horrorszenario war, meine Sicht als damaliger Brandursachenermittler ergänzen.
An jenem Tag hatte ich dienstfrei, hörte aber gegen 9 Uhr die Nachricht vom Brand im Obdachlosenheim im Radio. Da ich wußte, was dort an Arbeit zu bewältigen war, versetzte ich mich selbst in den Dienst, fuhr zur Dienststelle und begab mich an den Brandort. Dort angekommen, waren mein Kollege Volker K. und der Brandexperte vom LKA Heinz F. schon bei der Brandursachenermittlung. Sie gingen aufgrund der Abbranderscheinungen davon aus, daß der Brand in einem riesigen Kabelbaum innerhalb der Flurdecke ausgebrochen war. Die Kollegen baten mich, die anderen Kameraden im Krankenhaus bei den Zeugenvernehmungen zu unterstützen, um eventuell genauere Hinweise zur möglichen Brandausbruchsstelle herausfiltern zu können. Letztendlich war diese Entscheidung gut, denn dort konnte ich die richtigen Fragen stellen. Mir und KHK Holger Eheleben bot sich zumindest die Möglichkeit, den späteren Tatverdächtigen persönlich am Bett zu befragen. Er war gerade frisch versorgt worden und mit der Vernehmung einverstanden. Zunächst konnte er sich nicht an Details des Brandes erinnern. Auf konkrete Fragen fiel ihm schließlich ein, daß er am Vorabend mit den anderen Kumpels eine größere Menge Alkohol getrunken hatte. Irgendwann sei er im Sessel eingeschlafen. Ob er geraucht hat, wollten wir wissen. Er bejahte, konnte jedoch nicht ausschließen, mit glühender Zigarette vor dem Fernseher eingeschlafen zu sein. Möglicherweise habe er sie auch im Papierkorb rechts neben seinem Sessel entsorgt.
Seine Erklärung klang plausibel. Als ich nachfragte, warum er ein sauberes T-Shirt angehabt hatte, geriet er ins Grübeln. Es müßte doch stark berußt und angebrannt sein, da er – nach Auskunft der Ärzte – zwei leichte Verbrennungen auf den Schulterblättern davongetragen habe. Auf unseren Vorhalt hin stutzte er kurz und gab an, daß er plötzlich wach wurde und Flammen vor sich sah. Aber nicht dort, wo der Papierkorb stand. Dann sei er hinausgelaufen. »Sind Sie denn nackt hinausgelaufen?« fragte ich weiter. Er verneinte.
»Und wo ist ihre Oberbekleidung geblieben?« hakte ich nach. Nach kurzer Pause antwortete er, daß er sie ausgezogen habe, um damit auf die Flammen einzuschlagen. Anschließend sei er gebückt an der Schrankwand vorbeigelaufen, habe sich dabei ein neues T-Shirt herausgerissen und sich ins Freie gerettet. »Warum gebückt?« war unsere nächste Frage. »Weil sich im Deckenbereich schon Flammen befanden «, entgegnete er prompt. Das erklärte auch die Verbrennungen 2. Grades auf seinen Schulterblättern.
Die Leseprobe endet hier. Umfänglich in: Brände / Morde / Explosionen