Das Weißenseer Reinheitsgebot von 1434, welches eindeutig nur Hopfen, Malz und Wasser zum Brauen von Bier vorschreibt, wurde von mir im Februar 1998 im damaligen Historischen Archiv Weißensee auf der Runneburg entdeckt. Es ist Bestandteil der „Statuta thabernae“ (1434) der Stadt Weißensee und hat spätmittelalterliche Wirtshausregeln und Gesetze über das Brauen von Bier sowie allgemeine Verhaltensregeln zum Gegenstand. Zudem dürfte es für den Rechtshistoriker sehr interessant sein.
Aufgestellt wurden die 30 Artikel höchstwahrscheinlich auf Grund innerstädtischer Unruhen oder gar Auseinandersetzungen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts kam es in zahlreichen deutschen Städten zu Kämpfen zwischen den „Gemeinden“ und dem „Rat“. Das wird in Weißensee ähnlich gewesen sein. Die Schenkenwirte und Bierbrauer waren durch die Biersteuer (Ungeld) in alle Streitigkeiten verwickelt. Deutlich werden die Zwistigkeiten in Wortwendungen wie „die rethe und die gemeyne dez eyns igslichen jarez eyn werdet“ und „Auch sind dry Rethe und eyn gancz gemeyne eyn worden umb daz geschoß zcu seczene und zcu gebene“. Bei Geschoß handelt es sich um Steuern. Um 1425/30 war der Stadtherr Weißensees Landgraf Friedrich von Thüringen, genannt der Friedfertige. Der Bürgermeister des Jahres 1428 hieß Hartwig Schemelraufe (!). Die „Statuta thabernae“, die diesem Text zugrunde liegen, sind in dem „Verzeichniß etlicher alten Statuten zue Weißensee, nebst einer Nachricht, wie das Geleit vor Alters hier abgegeben worden de anno MCCCCXXXIV Seqq. (1434)“ enthalten. Das Weißenseer Stadtbuch (jetzt Stadtarchiv Weißensee, Rep. B., Tit. II Nr. 3) wurde in den 1420er Jahren angelegt.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts mußten in den landgräflichen Weißenseer Wirtshäusern rauhe Zustände, eine unklare Steuergesetzgebung, sowie eine undurchsichtige Steuereinnahme geherrscht haben. In der Stadt wurde mindestens seit 1285 gebraut. In diesem Jahr trug Landgraf Albert von Thüringen dem Marktmeister in Weißensee auf, zu verhindern, daß jemand, gleich wessen Lehnsmann oder Tributpflichtiger, im Umkreis einer Meile außerhalb Weißensees Bier verkauft oder ausschenkt, wenn er es nicht für sich gebraut oder in Weißensee erworben hat. (Bierbannmeile). Das Bannmeilenrecht verbot im Bereich der städtischen Bannmeile (eine oder mehrere Meilen) ländliche Gasthäuser, in denen sich oft Lebensmittelhandel und Marktverkehr abspielten. Alle 30 Artikel wurden nach der Urschrift (ohne Bemerkungen bzw. Überarbeitungen des ersten Bearbeiters) übersetzt. Unklare, nicht geläufige Worte oder Wortgruppen wurden erläutert.
Statuta oppidi de wissensehe
Artikel 1
Zum Ersten: Welcher Bürger zu Weißensee eine Taberne hat, in welcher Zeit das sei, so behält ein jeglicher Bürger von Rechte seine Freiheit. (Die Freiheit bzw. die Freiheiten, die der Bürger in einer mittelalterlichen Stadt genoß, waren vielfältig. Sie konnte den Bürgern, die eine Taberne offen hatten, den Schutz des Stadtherrn sichern, ihr Waffenrecht bestätigen, Steuerfreiheit gewähren und ihn vom Zweikampf befreien. Hier könnte eine Art zeitlich begrenzte Gewerbefreiheit, Brau- und Schankfreiheit gemeint sein).
Artikel 2
Wenn sich der Gast ungebührlich verhält. Wo ein Bürger Wein oder Bier offen hat, komme darein ein Gast und vertrinkt sein Geld, und wenn der Gast bezahlen soll und bezahlt nicht gütlich und bietet der Frau böse Worte, oder des Wirtes Gesinde, kommt der Wirt dazu, und schlägt dieser den Gast mit einem Gefäße an den Kopf oder in die Zähne oder raufet ihn, soll dennoch der Gast dem Wirte die Unzucht büßen, die er in seinem Hause begangen hat. (Unzucht – Unsitte, schlechtes Benehmen)
Artikel 3
Schlägt aber der Wirt den Gast so sehr, daß er ihn verwundet, soll der Wirt dem Gast seinen Arzt rufen. Der Gast soll aber dennoch dem Wirt seine Unzucht büßen, die er in seinem Haus begangen hat.
Artikel 4
Wo ein Bürger den anderen Bürger verwundet, ist er der Stadt bußfällig ein Pfund. (bußfällig – büßen, Strafe zahlen, 1 Pfund – 20 Schillinge, d. h. 240 Pfennige.)
Artikel 5
Schlägt aber ein Bürger den anderen Bürger zu Tode, ist er der Stadt bußfällig drei Pfund. (Das Strafmaß wurde durch einen Bearbeiter im 15. Jahrhundert „korrigiert“ und auf 3 Jahre Verbannung erhöht.)
Artikel 6
Schlägt aber ein Bürger den anderen und raufet oder schilt ihn und er geständig ist, ist er der Stadt bußfällig fünf Schillinge. (Auch dieses Strafmaß wurde durch den offenbar unzufriedenen Bearbeiter nachträglich erhöht auf acht Schillinge.)
Artikel 7
Welch Bürger oder Bürgerin den anderen um Ehre und Leumund redet oder ihn schilt und ihm Unrecht tut, daß er geständig ist oder überzeugt wird, der ist der Stadt zu Buße fünf Pfund verfallen. (Leumund – Ruf, überzeugt – überführt)
Artikel 8
Welcher Bürger in eines anderen Bürgers Haus einen ledigen Pfennig verspielt, der soll der Stadt ein Pfund Pfennige geben, und wer da vorbet, soll 5 Schillinge Pfennige geben. (1 Pfund – 20 Schillinge, d. h. 240 Pfennige.)
Artikel 9
Nicht spielen. Es soll auch kein Bürger mit dem andern Bürger spielen; das verbietet man bei einem Pfund und geschehe, daß ein Bürger mit dem anderen spielt, soll der Wirt davon keinen Schaden haben.
Artikel 10
Welcher Bürger einen Knecht hat und der verspielt in eines Bürgers Haus wenig oder viel, soll der Bürger seinem Knecht nicht mehr als einen Schilling vom Lohn abziehen.
Artikel 11
Brauen, Gewand schneiden, Schenken, Mälzen. Welcher Bürger Brauen, Gewand schneiden, Schenken und Mälzen will, der soll stehen in seinem Geschoß mit zwölf Mark nach der Stadt Gesetzte und soll sein erstes mal ausgießen acht Tage vor Unser Lieben Frauen (7. August) und zum letzten mal an St. Walpurgis Abend (1. Mai). Wer dagegen verstößt, der ist der Stadt ein Pfund bußfällig. (Unser Lieben Frauentag bezieht sich ohne Beisatz stets auf den 15. August, die Himmelfahrt Mariä.)
Artikel 12 Weißenseer Reinheitsgebot
Zu dreimal Brauen. Es soll auch niemand mehr brauen als dreimal in einem Jahr oder nach dem, wie die Räte und die Gemeinde eines jeglichen Jahres sich einig werden. Zu dem Bier brauen soll man nicht mehr nehmen als soviel Malz, als man zu den drei Gebräuen von dreizehn Maltern an ein Viertel Gerstenmalz braucht. Die Gebräue soll man tun zu welcher Zeit in dem Jahr man will oder man erkennt, daß es am bequemlichsten sei. Es soll auch nicht in das Bier weder Harz noch keinerlei andere Ungefercke. Dazu soll man nichts anderes geben als Hopfen, Malz und Wasser. Das verbietet man bei zwei Mark und derjenige muß die Stadt für vier Wochen räumen. (bequemlich – zweckmäßig, Ungefercke – gefährliche Stoffe) In diesem Artikel ist erstmals die Zusammensetzung des deutschen Bieres mit den Bestandteilen Hopfen, Malz und Wasser genannt. Ob die Weißenseer Stadträte die derben Zustände in ihren Tabernen der schlechten Qualität des Bieres zuschrieben und deshalb als Erste ein solches Reinheitsgebot entwickelten, muß offen bleiben. („dreizehn Maltern an ein Viertel Gerstenmalz“ regelt die Stammwürze, hier von 11,8 – 12,8.) – Freundliche Mitteilung von Prof. Annemüller, Berlin)
Artikel 13
Wenn zwei ihr Gebräu miteinander vermischen. Auch wenn zwei Bürger ihr Gebräu miteinander vermischen in einem Hause, und wenn ein jeglicher Bürger das seine heim fährt in sein Lager und zu Hause ausschenkt, verbietet man das bei zwei Mark und derjenige muß die Stadt für vier Wochen räumen.
Artikel 14
Zwei auf einem Hof Ansässige. Wenn auch zwei Bürger miteinander in einem Hof sitzen, sollen die nicht mehr brauen denn dreimal im Jahr oder nachdem man sich jeglichen Jahres einig wurde, in welchem Abstand man brauen soll. Das verbietet man bei zwei Mark und einem Jahr die Stadt zu räumen.
Artikel 15
Niemandes fremde Weine. Es soll auch niemand fremde Weine noch fremde Biere einführen noch lagern noch die schenken, die hier zu dieser Stadt nicht zugewachsen sind. Das verbietet man bei vier Mark und bei einem Jahr die Stadt zu räumen.
Artikel 16
Auch so mag ein jeglicher Bürger schenken und ziehen ein halb Faß Biers oder ein acht eimriges Faß und nicht mehr, zu den Jahrmärkten und zu dem Ablaß, solange die Freiheit währt und nicht länger.
Artikel 17
Es soll auch kein Bürger fremdes Malz brauen. Das verbietet man bei einem Pfund.
Artikel 18
Es soll kein Bürger schoßbares Gut verkaufen, weder Pfaffen noch Juden noch guten Händlern noch auswärtigen Leuten, noch sollen keine ewigen Zinsen weder verkauft noch angeordnet noch vergeben werden, an Erben noch an Abhängige, das verbietet man bei vier Mark und bei einem Jahr zu räumen.
Artikel 19
Es soll auch kein Bürger Gesellschaft haben mit Kaufmannschaft, mit niemandem, damit unsern Herrn und der Stadt nichts von geschieht. Das verbietet man bei einem Pfund. („keine Gesellschaft haben“ heißt, keine Gesellschaft eingehen.)
Artikel 20
Wer da auch strafte seine Sühneleute, auf die er gegangen hätte, der wird der Stadt bußfällig zwei lotige Mark und sollte dazu ein Jahr räumen. (Sühne – Zwischen dem Täter und dem Verletzten abgeschlossener Vertrag, wonach statt der verwirkten Strafe eine Buße entrichtet wurde. Ein Täter mußte in Weißensee Urfehde schwören, d. h. Verzicht auf Rache. Verstieß er dagegen, war die Strafe hart. Sühneleute, oftmals vier Personen, wurden berufen. Hierbei handelt es sich um ein ehrenamtlich tätiges Richterkollegium.)
Artikel 21
Auch soll man unser Hausgeschoß nach der Stadt zinsen, nicht mehr vor Räten, als hier auf diesem Rathaus. (Die Steuern sollten nicht mehr an einzelne Stadträte ausgezahlt werden.)
Artikel 22
Welcher Bürger der Stadt Zöllner ist, der soll den Zoll des Jahres getreulich einfordern und einnehmen und ihn auf dem Rathaus auf Eid übergeben, davon soll man ihm lassen folgen ein Pfund Pfennige um seiner Mühe und Arbeit willen. (Noch heute zieht der Zoll die Biersteuer ein, nicht das Finanzamt.)
Artikel 23
Es soll auch niemand Barten, Langmesser, noch keinerlei andere Mordwehre tragen auf Straßen und in Tabernen. (Barten – Beile. In Nürnberg durfte kein Bürger eine Waffe bei sich tragen und auch nicht in Wirtshäusern und Bordellen damit angetroffen werden.)
Artikel 24
Nach der Bierglocke soll niemand ohne Geleuchte, noch mit Wischen gehen. Das verbietet man dem Bürger bei einem Schilling und dem Gast bei drei Schillingen. (Mit wyschen ist der Strohwisch – Strohfackel gemeint. Betrunkene konnten mit Strohfackeln in den Händen für eine Stadt zur Lebensbedrohung werden. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts läutete die Bierglocke im Sommer nach „zehen undt den Dienst knechten nach Sieben uhren: Im herbst und im Winter aber den Bürgern nach acht undt den Knechten nach fünf uhren (…) undt darbey gahr kein Spielen, wie das auch nahmen haben mag Zugelaßen werden. Undt damit ob diesem Punkte desto vleißiger gehalten werden müge. Sollen die Wechter wan Sie an die Wache gehen, Undt das glöcklein geleutet worden, den Zechgesten feuerabendt zumachen ankündigen, undt wan solches geschiehet, der Wirth den Keller zuschließen, undt als dan keinem etwas mehr langen. Wer aber darüber van Ihme heimzugehen angezeigt wirdt, sich vorsetzlichen verwegert undt trotziglich im Bierhause sitzen bleibt“, wurde bestraft).
Artikel 25
Es soll auch niemand Asche, Mist noch keinerlei anderen Unflat schütten noch tragen vor sein Tor, er wolle es dann von Stund an wegfahren oder fahren lassen. Das verbietet man bei einem Schilling.
Artikel 26
Es soll auch niemand am Sonntage noch an den zwölf Boten Tagen (zwölf Apostel Tage), noch an anderen Festen und heiligen Tagen weder brauen noch dörren, noch eine andere unzeitliche Arbeit tun. Das verbietet man bei fünf Schillingen.
Artikel 27
Es soll auch niemand ohne Zeichen Bier nach Wein verkaufen, noch heimlich verwechseln. Das verbietet man bei einem Pfund. (Mit Zeichen ist der Bierwisch, der Vorgänger unserer Gaststättenausleger, gemeint).
Artikel 28
Auch soll ein jeglicher Bürger ein voll Maaß Bier geben oder was er rufen läßt und nicht teuren, es sei zu Jahrmärkten oder zu Ablaß. Das verbietet man bei einem Pfund. (Jeglicher Bürger darf den Bierpreis nur zu den Jahrmärkten oder am Ablaßtag, meist Gründonnerstag, erhöhen)
Artikel 29
Auch soll kein Bürger die Pfanne bedürfen noch ohne Erlaubnis nehmen, er habe denn die Pfanne vor unserm Herrn gewonnen, und sich lassen schreiben und Geld gegeben. Das verbietet man bei einer lotigen Mark Silber. (Pfanne – Bierpfanne, Mark = 235 g Silber. „Lotig oder lötig“ bestimmt eine Menge Silber, 16 Teile Silber auf 20 Teile enthaltend.)
Artikel 30
Um das Geschoß. Auch sind die drei Räte und die ganze Gemeinde einig geworden, das Geschoß zu setzen und zu geben, daß ein jeglicher Bürger sein Walpurgisgeschoß (30. April) soll richten und geben, halb auf St. Johannestag (24. Juni) und halb auf St. Jakobstag (25. Juli). Das Michaelisgeschoß (29. September) halb auf St. Martinstag (11. November) und halb auf St. Andreastag (30. November) oder auf jegliche Zeit, darauf man jeglichen Jahres es setzt, und welcher Bürger in dieser Zeit sein Geschoß nicht richtet noch bezahlt, von dem soll man zu jeder Zeit die Buße nehmen. Nämlich wer da hat zwölf Mark und darüber, der soll geben zu jeglicher Zeit fünf Schillinge zu Buße, und wer da hat zehn Mark und darunter, der soll zu jeglicher Zeit dreieinhalb Schillinge büßen. Niemand soll deshalb um Leben und Leib verschont sein. Alle Schosser, die man zu jeglicher Zeit dazu ruft, sollen von dem Geschoß nichts haben, es sei denn, sie haben es ganz und gar eingefordert und gesammelt, so sie es unsers Herrn Zettel ausweist. (Geschoß – Steuer, Schosser – Steuereinnehmer, Zettel – Verordnung, Festlegung des Steuersatzes.)
Das Bayerische Reinheitsgebot
Die glücklichste Stunde schlug uns deutschen Biertrinkern am 23. April („Tag des deutschen Bieres“) 1516, als die beiden gleichberechtigt in Bayern regierenden Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. in ihrer bayrischen Landesverordnung das Reinheitsgebot erließen. (Wie das Pier Summer un Winter auf dem Land sol geschenckt und prauen werden“). Dieses Gebot folgte einer älteren Ordnung der Stadt München. Im Stammland des Gerstensaftes haben solche Qualitätsrichtlinien eine lange Geschichte. Bereits Kaiser Friedrich I. Barbarossa hielt in dem ältesten deutschen Stadtrecht, dem der Stadt Augsburg, fest: „Wenn ein Bierschenker schlechtes Bier macht oder ungerechtes Maß gibt, soll er gestraft werden. Überdies soll das Bier vernichtet oder den Armen umsonst ausgeteilt werden“. Fünf Gulden Strafe (eine ziemlich große Summe) drohte dem Bierpanscher, bei dreimaligem Verstoß der Entzug der Lizenz. 1293 beschloß der Nürnberger Stadtrat, nur Gerste zum Brauen zu verwenden. Wegen einer Hungersnot hatte der Herzog im gleichen Jahr das Brauen in Bayern verboten. Im 14. Jahrhundert nehmen Bierregeln in Statuten und Innungsartikeln deutscher Städte zu.
Der Münchner Stadtrat übernahm im Jahr 1363 die Aufsicht über das Bier. Die älteste Brauordnung der Stadt Landshut stammt von 1409 und wurde „wegen des großen Gebrechen, der lange Zeit gewesen ist in ihrer Stadt von argem und bösem Bier und haben darauf gedacht, erfunden und gesetzt, wie ein Jeglicher in ihrer Stadt, der Bier macht und braut und brauen will sich halten soll mit aller Arbeit, die zu mälzen, zu sieden und zu Bier brauen gehört, als hiernach aufgeschrieben ist“. Diese Brauordnung wurde aufgestellt, um vor allem die schlechte Bierqualität und die hohen Bierpreise einzudämmen.
Ein Regensburger Stadtarzt wurde im Jahr 1447 beauftragt, das in der Stadt gebraute Bier regelmäßig zu kontrollieren und die Güte der Zutaten zu überwachen. Auf Grund der schlechten Erfahrungen des Arztes verfaßten die Regensburger 1453 eine Brauordnung, bei der die Bierbrauer schwören mußten, dem Bier weder Samen, Gewürz, Gestrüpp oder dergleichen zuzusetzen. Die ersten Brausätze des Münchener Stadtrates, die in einer Sammlung von Handwerkssatzungen enthalten sind (ähnlich wie die Erfurter Innungsartikel von 1351), stammen aus den Jahren 1447 und 1453. Letzteres Jahr ist vielleicht auch das Geburtsjahr des ältesten vom Rat der Stadt München überlieferten Reinheitsgebotes für Bier, das als Bestandteile ausschließlich Gerste, Hopfen und Wasser benennt.
Die Brauer sollen demnach „auch pier und grewssing (ein bierähnliches Getränk) sieden und prewen nur allein von gersten, hopfen und wasser und sonst nichts darein oder darunter thun noch sieden oder man straffte es“. In Regensburg waren ebenfalls 1469 Gerste, Hopfen und Wasser vorgeschrieben.
Herzog Albrecht IV. von Bayern erließ im Jahre 1487, nach vorheriger Beratung, eine noch umfassendere Brauordnung. Angeblich wurde das Bier zu teuer geschenkt. Die Einwohner litten höchstwahrscheinlich unter diesen Umständen, denn es wird betont, daß im „Bräuwerk“ Unordnung bestehe. Albrecht sah sich als regierender Fürst und Lehensherr der Brauer veranlaßt, den Übeln entgegenzutreten.
In seiner Brauordnung ist das älteste datiert überlieferte Reinheitsgebot für Bier in München erhalten. Das Bier soll aus nichts anderem, „denn hopfen gersten und wasser gesotten werden und nicht vorher ausgeschenkt werden, bevor es geschaut und gesetzt ist“.
Auf dieses Gebot mußten alle Brauer einen Eid schwören. Man sieht hierin sehr deutlich, wie der weitsichtige Herzog den Verbraucherschutz im Augen hatte.
Ein Jahr zuvor findet sich in einer Landshuter Verordnung, daß „keinerlei Wurzen, weder Zermetat noch anderes, das dem Menschen schädlich ist oder Krankheit und Wehtagen bringen mag“, in das Bier getan werden dürfe. Unter „Zermetat“ versteht man Fichtenkerne oder deren Rinde.
In punkto Reinheitsgebot zog Landshut dann auch im Jahr 1493 nach: „Welcher Bierschenk ungesetztes Bier austäte, Bier höher verkauft als gesetzt ist, gefährlich mischt, anderes als Malz, Hopfen und Wasser dazu nehme oder sonst Gefährliches tue, wird bestraft.“
In einer Ratsverordnung der Stadt Eichstätt im Donautal von 1507 wurde den Brauern verboten, alle den Kopf tollmachenden Kräuter ins Bier zu mischen, allenfalls etwas Kümmel, Wacholder und Salz.
Ihren Höhepunkt erreichten die bayrischen, städtischen Reinheitsgebote im Reinheitsgebot des Jahres 1516. Auf Grund seiner großen Bedeutung für die Biergeschichte geben wir es in vollem Wortlaut an dieser Stelle wieder.
Wie das Bier im Sommer und Winter auf dem Land ausgeschenkt und gebraut werden soll
“Wir verordnen, setzen und wollen mit dem Rat unserer Landschaft, daß forthin überall im Fürstentum Bayern sowohl auf dem Lande wie auch in unseren Städten und Märkten, die keine besondere Ordnung dafür haben, von Michaeli (29. September) bis Georgi (23. April) eine Maß (bayrische = 1,069 Liter) oder ein Kopf (halbkugelförmiges Geschirr für Flüssigkeiten – nicht ganz eine Maß) Bier für nicht mehr als einen Pfennig Münchener Währung und von Georgi bis Michaeli die Maß für nicht mehr als zwei Pfennig derselben Währung, der Kopf für nicht mehr als drei Heller (Heller = gewöhnlich ein halber Pfennig) bei Androhung unten angeführter Strafe gegeben und ausgeschenkt werden soll.
Wo aber einer nicht Märzen – sondern anderes Bier brauen oder sonstwie haben würde, soll er es keineswegs höher als um einen Pfennig die Maß ausschenken und verkaufen. Ganz besonders wollen wir, daß forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen. Wer diese unsere Androhung wissentlich übertritt und nicht einhält, dem soll von seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Faß Bier, so oft es vorkommt, unnachsichtlich weggenommen werden.
Wo jedoch ein Gastwirt von einem Bierbräu in unseren Städten, Märkten oder auf dem Lande einen, zwei oder drei Eimer (= enthält ca. 60 Liter) Bier kauft und wieder ausschenkt an das gemeinsame Bauernvolk, soll ihm allein und sonst niemand erlaubt und unverboten sein, die Maß oder den Kopf Bier um einen Heller teurer als oben vorgeschrieben ist, zu geben und auszuschenken.
Auch soll uns als Landesfürsten vorbehalten sein, für den Fall, daß aus Mangel und Verteuerung des Getreides starke Beschwernis entstünde, nachdem die Jahrgänge auch die Gegend und die Reifezeiten in unserem Land verschieden sind, zum allgemeinen Nutzen Einschränkungen zu verordnen, wie solches am Schluß über den Fürkauf ausführlich ausgedrückt und gesetzt ist.“
Das Reinheitsgebot schreibt ausdrücklich Gerste vor. Der wertvollere Weizen oder Roggen war den Bäckern vorbehalten.
Die Herzöge stellten die Absicherung der Ernährung ihrer Bevölkerung deutlich in den Vordergrund.
Auseinandersetzungen und Zunftstreitigkeiten zwischen Bäckern und Brauern waren im mittelalterlichen Bayern an der Tagesordnung. Später durften die Brauer Weizen und Roggen wieder verwenden und das Reinheitsgebot wurde dahingehend erweitert.
Das Reinheitsgebot im Laufe der Jahrhunderte
Das bayrische Reinheitsgebot wurde juristisch relativ spät von den anderen Ländern übernommen, obwohl sich die Brauweise nach „bairischer Art“ und damit wohl auch das Reinheitsgebot bereits im 19. Jahrhundert in den Norden und nach Sachsen durchsetzten.
Baden übernahm das Reinheitsgebot 1896, Württemberg im Jahre 1900. Ab 1906 galt das Reinheitsgebot in allen Gebieten des deutschen Kaiserreiches. Somit wurde das bayrische zum deutschen Reinheitsgebot.
Die Weimarer Republik übernahm das Reinheitsgebot ebenfalls, allerdings erst auf Druck des Freistaates Bayern, denn er erklärte, er werde der Republik erst dann beitreten, wenn das Reinheitsgebot im gesamten Gebiet der Republik gelte.
Bis heute haben sich nur die Schweiz und Norwegen den Vorschriften des Reinheitsgebotes angeschlossen. Im Rahmen der EU wurde per Gesetz durch den Europäischen Gerichtshof das deutsche Reinheitsgebot als Handelshemmnis angesehen und 1987 gekippt.
Heute gilt das Reinheitsgebot nur noch für den Inlandmarkt, also für Biere, die in Deutschland hergestellt und auch hier verkauft werden. Auswärtiges Bier hält aber nur einen Marktanteil von 2,5 % und wird zum größten Teil nach dem Reinheitsgebot gebraut, wie z. B. Guiness.
Die aktuelle Regelung der zulässigen Rohstoffe für die Erzeugung von Bier ist in Artikel 9 des deutschen Biersteuergesetztes enthalten.
„(1) Zur Bereitung von untergärigem Bier darf, abgesehen von den Vorschriften in den Absätzen 4 bis 6, nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden. (2) Die Bereitung von obergärigem Bier unterliegt derselben Vorschrift“.
Aus: Michael Kirchschlager: Was Sie schon immer über teutsches Pier wissen wollten. Weißensee 1998.