Die grausame Schwester (1826)

Beim Assisengericht zu Rennes in Frankreich kam im Jahre 1826 folgender Fall vor: Eine gewisse Survelè in der Gemeinde St. Briant, nahe bei St. Malo, lebte als eine Witwe mit 5 unerzogenen Kindern, wovon das jüngste vier und das älteste 14 Jahre alt war. Es gelang ihr, durch anhaltende Arbeit und mit Unterstützung ihrer älstesten Tocher Anne Survelè, ihre zahlreiche Familie zu unterhalten. Anne, düstern und mürrischen Gemüts, faßte, in der entfernten Hoffnung auf den geringen Nachlaß ihrer Mutter, den Entschluß, ihren jüngsten, 5 Jahre alten Bruder Joseph und ihre vierjährige Schwester Marie umzubringen.

Am 10. März 1826 nahm sie dieselben unter dem Vorwand, sie spielen zu lassen, mit sich an den Brunnen Bellesville bei St. Briant, und da, nachdem sie ihnen die Augen mit einem ihrer Mutter entwendeten Schnupftuch verbunden hatte, stieß sie eins nach dem andern in den 18 Fuß tiefen Brunnen. Die armen Kinder kämpften und hielten sich an das Moos und den an der Mauer des Brunnens wachsenden Gräsern, aber ihre grausame Schwester raffte in den benachbarten Feldern Steine und Erdschollen auf und warf sie ihnen auf den Kopf, indem sie ihnen zurief: ?Geht doch unter! Geht doch unter!?

Glücklicherweise wurde das erbärmliche Geschrei dieser unglücklichen Kleinen von einem Manne in einem benachbarten Garten gehört und eilte zu Hilfe. Sobald Anne Survelè ihn bemerkte, schien sie großes Verlangen zu bezeugen, ihre Geschwister aus dem Wasser zu ziehen und über diesen Vorfall untröstlich zu sein. Es wäre fast ihrer Vorstellung gelungen, dieses Ereigniß als Zufall geltend zu machen, wenn nicht die naive Erzählung der Kinder und das Vorhandensein des Schnupftuchs ihr Verbrechen verraten und bewiesen hätte.

Vor dem Gericht zeigt Anne Survelè eine auffallende Ruhe. Sie antwortete mit Anstand, Einsicht und Bündigkeit auf die vorgelegten Fragen des Präsidenten, und erregte durch ihre Geistesgegenwart, die von ihrem Alter nicht zu erwarten war, das Erstaunen und den Unwillen der Anwesenden. Aber die Beweise waren zu deutlich, als daß sie der schuldigen Strafe hätte entgehen können. Nachdem das Geschworenengericht die ihm vorgelegten Fragen bejaht hatte, wurde Anne Survelè noch nicht 16 Jahre alt, zu 18 monatlicher Gefängnisschaft verurteilet.

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