Honorine Pellois war so grausam, vor ungefähr zwei Monaten, am 16. und 18. Juli 1834, zwei kleine Mädchen aus ihrer Nachbarschaft, wovon das eine zwei Jahre und sechs Tage, das andere anderthalb Jahre alt war, in einem Brunnen zu ertränken. Sie versuchte noch ein Kind von elf Jahren auf gleiche Weise zu töten. In einem Zeitraum von vier Tagen beging sie alle diese Abscheulichkeiten. Der Beweggrund, den sie dazu angibt, ist unerhört, und – es ist kaum glaublich, dieses grausam, Verderben bringende Wesen ist selbst ein Kind, zehn und ein halbes Jahr alt!
Nie sah man eine solche Anklage in die Annalen der Gerichtspflege eingetragen. Es ist eine Anomalie in dem Gang des Verbrechens, indem die junge Missetäterin auf solche Weise den Jahren der Leidenschaften zuvoreilt, und es zeigt sich hier etwas Ungeheures, das alle Begriffe der Moralisten über den Haufen wirft.
Die Phrenologistik wird nicht ermangeln, in dieser frühreifen Verworfenheit ein neues Argument zu Gunsten ihrer Lehren aufzustellen, und in Wahrheit, wenn man die Stellung Honorinens vor ihren Richtern beobachtet, wenn man ihr trockenes Auge und ihr Lächeln inmitten der herzzerreißensten Äußerungen während der Verhandlungen sah, wenn man vor allem gehört hat, wie sie mit einer entsetzlichen Naivität ganz offenherzig ihre Verbrechen erzählte, so ist es schwer, nicht daran zu glauben, daß man unglücklicherweise im Menschengeschlecht auf jene unerklärlichen Wesen trifft, die aus Instinkt das Böse zu lieben scheinen, und die gleichsam auserwählt sind, der Schrecken der anderen Menschen zu werden.
Honorine Pellois ist zu Saint-Eyr-la-Rossiere von armen und in üblem Ruf stehenden Eltern geboren, von denen sie nachlässig auferzogen wurde. Dem Vater machte man den Vorwurf einer allzustrengen Behandlung, während die Mutter die schlimmen Angewohnheiten des Kindes nachsichtig übersah. Von ihrer ersten Kindheit an offenbarte Honorine Neigungen zur Grausamkeit. Sie schlug und quälte unaufhörlich die anderen Kinder. Sie fand Freude daran, ihnen Staub in die Augen zu werfen und sie mit Nesseln zu reiben. Ihre Bösartigkeit verschonte auch die Tiere nicht, und mehr als einmal überraschte man sie, wie sie von einem Hund bald ein Schaf, bald Geflügel, das sie in den Feldern traf, erwürgen ließ. Wenn man sie hierauf über der Tat ertappte und über ihre Handlungen schalt, so hörte sie stillschweigend zu. Aber ihre Augen wurden (so erzählt ein Zeuge) flammend, und sie begann die Zähne wie ein Affe zu fletschen. Übrigens zeigte sie, weit entfernten beschränkten Geistes zu sein, viel Verstand.
Honorine Pellois wurde endlich wegen mehrfachen Verdachts in Verhaft genommen, und bald ergab sich hier noch, daß die junge zehnjährige Verbrecherin schon wieder am 20. Juni, kaum zwei Tage nach ihrem zweiten Mord sich bemüht hatte, die kleine elfjährige Gauchard in eine Fontäne von ungefähr drei Fuß Tiefe zu stürzen. Dies Verbrechen schien sich aber nicht hinreichend herauszustellen, um eine dritte Hauptanklage zu begründen. Man beeilte sich, kunstverständige Männer zu Rate zu ziehen, um den Geisteszustand Honorinens zu konstatieren. Das Resultat ihrer Forschungen war, daß dieses Kind durch seine Antworten und durch die Bildung seiner Hirnschale offenbarte, daß es mit Verstand begabt sei, aber dem System des Doktors Gall nach, die Organe der List und Grausamkeit besaß.
Honorine erschien sonach vor dem Kriminalgericht des Ornedepartements, zweier Mordtaten angeklagt. Die Menge drängte sich im Gerichtssaal, um dies kleine Ungeheuer zu betrachten. Jedermann bildete sich ein, in ihrem Gesicht irgendeinen charakteristischen Zug ihrer Bösartigkeit zu entdecken. Aber wie sehr wurde man überrascht, als unter der Begleitung der Gendarmen ein kleines Mädchen mit einer recht sanften Gesichtsbildung und einem Lächeln auf den Lippen eintrat!
Die Einrichtung des Gerichtssaales scheint sie zuerst zu erschrecken, denn kaum hat sie ihren Platz eingenommen, als schwere Tränen von ihren Wangen fließen. Aber diese Tränen trocknen sogleich. Man sieht ihr Lächeln wiederkehren, und ihre Blicke schweifen mit einer außerordentlichen Neugierde auf alle sie umgebenden Gegenstände umher. Die Säbel und die Uniformen der ihr zur Seite sitzenden Gendarmen nehmen vorzugsweise ihre Aufmerksamkeit in Anspruch.
Man verliest die Anklage. Sie erregt Schauder und ergreift die Seele auf das Schmerzlichste durch den Kontrast der Verbrechen, die sie schildert, mit der Sorglosigkeit des Kindes, das solche begangen hat, und dessen Seele im Angesicht seiner Richter nur von dem neuen Schauspiele eingenommen zu sein scheint, das sich seinem Anblick darbietet. Denn die Anklage selbst läßt das Kind gleichgültig, ja es lächelt, indem es solche vernimmt.
Honorine wird befragt. Sie steht auf und betrachtet unverwandt die Gendarmen, ohne Antwort zu geben. Der Präsident wiederholt seine Fragen. Sie bricht hierauf ihr Stillschweigen, gesteht mit einer entsetzlichen Offenherzigkeit, ohne das geringste Zeichen von Reue zu geben, daß sie, aus Eifersucht, die kleinen Mädchen in den Brunnen geworfen habe. Man schreitet zum Verhör der Zeugen. Nichts zerreißender als die Aussagen der unglücklichen Frauen Hersant und Alexandre. Jedes Wort, jeder Ausruf der beiden in Tränen schwimmenden Mütter erschüttert jedes Gemüt. Honorine allein widersteht der allgemeinen Rührung. Aber die dramatische Wirkung dieser Szene in dem Augenblick beschreiben zu wollen, wo es sich in dem belebten und freudigen Ausdruck ihres durchdringenden Blickes offenbarte, daß ihr dieser mütterliche Schmerz, dessen Ursache sie ist, gefällt – diese Szene ist nicht mit Worten zu schildern!
Bald entschleiert die Verhandlung einen gräßlichen Umstand, der die ganze Grausamkeit Honorinens charakterisiert. Sollte man es glauben? Man hatte den entseelten Körper der kleinen Alexandre zu ihren Eltern gebracht. Diese Unglücklichen zerflossen in Tränen beim Anblick des Leichnams ihres Kindes. Plötzlich geht die Tür auf, und wen sieht man? Honorine auf der Schwelle stehend, die Zähne fletschend und laut auflachend wie ein Dämon!
Honorine, die Urheberin der Trostlosigkeit dieser ganzen Familie, ist es, die herbeikam, auf solche Weise ihr Unglück zu höhnen. Welch unerhörte Bosheit eines Kindes! Man war kaum fähig dies höllische Geschöpf wegzujagen. Und – nicht minder unglaublich! – am Abend bei der Beerdigung ihres Schlachtopfers sah man, wie sie dem Zuge folgte und eine Kerze zu tragen verlangte.
Am Tage, als man die kleine Hersant, die sie in den Brunnen geworfen hatte, suchte, beeilte sich Honorine, den Weg zu bezeichnen, auf welchem sie, wie sie sagte, da Kind gesehen haben wollte. Hierauf fing sie zu suchen an und sie, wie die Übrigen, beim Namen zu rufen. Aber als der Körper des unglücklichen Kindes im Brunnen gefunden worden war, stellte sich Honorine auf eine Anhöhe, von wo aus sie sich ganz nach Herzenslust das Entsetzen der Menge betrachten konnte, die den Leichnam umgab.
Noch ein Zug vollendet das Gemälde von dem Charakter Honorinens. Der Präsident fragt sie, warum sie sich mehrere Male bemüht habe, die kleine Gauchard in die Fontäne zu stürzen, als dieses Kind daraus seinen Durst löschen wollte. Honorine antwortete ohne sich zu besinnen: „Ich wollte sie ersäufen.“ Jedermann schauderte bei dieser Antwort, die ein neues Verbrechen offenbarte, welches die Anklage selbst zu beseitigen gesucht hatte. Der Verteidiger Honorinens sagt ihr, sie habe falsch verstanden, aber Honorine erwidert kalt, daß sie wohl verstehe, und daß es ihre Absicht gewesen war, die kleine Gauchard umzubringen.
Inmitten des unaussprechlichen Eindrucks, den diese Verhandlung erzeugt, wird dem Anwalt des Königs das Wort bewilligt. Die Erschütterung war tief. Diese Gerichtsperson vermehrt sie nur noch durch einen beredsame Vortrag. Die Tatsachen waren gewiß und eingestanden. Es handelte sich nur noch um die Frage der Unterscheidungskraft, und die Unterscheidungskraft Honorinens ist dargetan durch die eifrigen Vorsichtsmaßregeln, die sie zuerst zur Verhüllung ihrer Verbrechen nahm.
Während des ganzen Vortrages schweiften Honorinens Blicke fortwährend mit der außerordentlichsten Sorglosigkeit von einem Gegenstand zum andern, aber als der königliche Anwalt mit den Worten endigte, daß sie von nun an neben einen Lèger gestellt werden müsse, der ein junges Mädchen in seine Höhle geschleppt, sie daselbst geschändet und ihr das Herz dann ausgerissen und ausgesaugt hatte, da hört Honorine alsogleich aufmerksam zu. Ihre Augen fangen zu funkeln an, und es ist unverkennbar, wie sehr ihr die schauderhafte Schilderung gefällt.
Herr Verrier übernimmt nun die Verteidigung, aber mit mehr Talent, als Glück. Vergebens behauptete er, daß Honorine den ganzen Umfang des verübten Bösen nicht begriffen habe! Seine Bemühungen sind nutzlos.
Nach einigen der Beratung gewidmeten Augenblicken erklären die Geschworenen, daß Honorine mit Unterscheidungsfähigkeit gehandelt habe. Demzufolge verurteilte sie der Gerichtshof zu zwanzigjähriger Gefängnisstrafe in einem Zuchthaus und stellt sie zehn Jahre unter polizeiliche Aufsicht. Honorine schweigt, aber das Zusammenziehen ihrer Lippen, die Bewegung ihrer Augenbrauen und das Blinzeln der Augenwimper offenbaren, daß sie ihre Strafe wohl begriff.