Ein vertiertes Weib (1869)

Weibliche Gewalttäterinnen aus Gewinnsucht sind in der Kriminalistik im Allgemeinen etwas Seltenes, besonders allein operierende. Die Wiener Kriminalgeschichte weist im 19. Jahrhundert einen einzigen Fall auf, dessen Heldin ohne Helfershelfer zu einem derartigen Verbrechen schritt, doch wiegt diese entsetzliche Tat wahrlich ein Dutzend ähnlicher Delikte auf.

Maria Stupka, damals 36 Jahre alt, zu Beneschau geboren, katholisch, ledig, ihres Zeichens Wäscherin, bereits einmal wegen Diebstahls mit acht Tagen Kerkers vorbestraft, mußte sich am 21. März 1870 vor dem Wiener Landesgericht verantworten, weil sie selbständig und allein einen Raubmord begangen hatte, und zwar an einem unschuldigen Dienstmädchen, welches sie in geradezu tierischer Weise ins bessere Jenseits beförderte.

Der Tatbestand war folgender: Die Stupka, ein mürrisches, jähzorniges, unsympathisches Weib, bewohnte im 2. Bezirk, Zirkusgasse 16, ein Zimmer und ein Kabinett zu ebener Erde. Sie war keine begeisterte Freundin der Arbeit, legte oft tagelang müßig die Hände in den schoß und geriet dadurch wiederholt in Geldverlegenheiten. So geschah es auch im November des Jahres 1869, wo sie den letzten Vierteljahreszins in Raten zahlen mußte, und zwar am 14. November 23 Gulden und am 24. November vierzehn Gulden. Dazu hatte sie aber noch viele andere Schulden, wurde von kleinen Gläubigern häufig gemahnt und war daher gezwungen, wie der Hausbesorger Josef Aff später erzählte, verschiedene Effekten für 35 Gulden zu verpfänden.

Um den Zins leichter zahlen zu können, pflegte die Stupka das Kabinett an postenlose Dienstmädchen zu vermieten. So wohnte um die Mitte des Novembers die Landsmännin Katharina Blaschek, ein ordentliches, gutmütiges Dienstmädchen, bei ihr und trachtete, einen guten Dienstplatz zu finden. Dies gelang ihr am 23. November, wo sie beim Trafikanten Kaiser in der Novaragasse einstand. Ihren mit Effekten reich gefüllten Koffer ließ sie aber vorläufig bei der Stupka zurück.

Dem Mädchen gefiel es recht wohl in dem neuen Posten, und als zwei Tage später, am 25. November, die Quartiergeberin erschien, um ihm einen viel besseren Platz anzubieten, lehnte Katharina Blaschek mit Dank ab. Maria Stupka ließ aber nicht locker und schilderte das Haus, welches sie meinte, im schönsten Licht. Die Blaschek möge doch nicht so schwerfällig sein und sich selber schaden, die neue Dienstgeberin wäre ja förmlich entzückt und warte mit einem Dienstmann in ihrer (der Stupka) Wohnung, damit gleich der Koffer mitgenommen werde. Endlich ließ sich das Mädchen bereden und begleitete die Quartiergeberin heim.

Zu ihrem Erstaunen war aber kein Fremder dort zu sehen. Noch ehe sie Aufklärung verlangen konnte, sperrte die Stupka die Tür ab und sagte: „Da hast es jetzt, weilst so lange herumziehst. Jetzt is sie schon fort.“ Die Blaschek meinte harmlos: „Mir liegt ja nix dran, ich bin ganz zufrieden.“ „Nein,“ antwortete die Stupka, „für einen Narren kann man eine so feine Frau net halten. Du gehst jetzt gleich zu ihr hin, den Koffer laßt derweil bei mir.“ Dann drängte sie die Landsmännin zur Tür, als wenn sie ihre schleunige Entfernung wünschte.

Katharina Blaschek leistete Widerstand, indem sie entgegnete, daß sie sich vorerst neue Strümpfe aus ihrem Koffer nehmen wolle. Dies ließ die Stupka geschehen, doch als sich das Mädel ahnungslos bückte, versetzte ihm die Wäscherin einen derartigen Schlag auf den Hinterkopf, daß es zu Boden stürzte. Entsetzt starrte die Blaschek auf die Angreiferin, die nun unzählige Male mit voller Kraft zuschlug, sodann ein großes Messer ergriff und ihr viele Stiche in den Kopf und in den Nacken beibrachte.

Katharina Blaschek wollte um Hilfe schreien, da stieß ihr die Stupka mit solcher Gewalt die Faust in den Mund, daß die Vorderzähne brachen. Trotzdem entschlüpften der Bedauernswerten in ihrer Todesangst unterdrückte Schmerzenslaute. Um auch das zu verhindern, nahm die Stupka ein Tuch und versuchte der Magd die Zunge herauszureißen. Endlich wurde das Opfer dieser weiblichen Bestie ohnmächtig. Nun raubte die Stupka dessen Geldtäschchen mit dem Inhalt von – fünf Gulden.

Wir folgten bisher der Darstellung des Dienstmädchens, welches diesen Sachverhalt kurz vor seinem Tod im Spital angab. Die Angaben verdienten vollkommene Glaubwürdigkeit, denn der Hausbesorger erklärte, daß er weder einen Zank, noch einen Lärm gehört habe. Erst um sechs Uhr sei es ihm vorgekommen, als ob jemand stöhnte und ächzte, weshalb er im Verein mit seinem Neffen die Wohnung der Stupka erbrach, aus welcher die Laute drangen. Katharina Blaschek lag beim Eintritt der beiden Männer blutend bei ihrem Koffer. Auf dem Sessel sah man ein blutbeflecktes Messer, am Tisch das Geldtäschchen. Die Stupka war aber nicht zu finden.

Josef Aff machte sich auf die Suche, und als er sie nirgends in der Wohnung entdeckte, schaute er im Abort nach. Da kauerte die Frau in einem Winkel, wie ein gehetztes Wild. Neben ihr lag eine blutige Hacke. Sie ließ sich widerstandslos festnehmen. Katharina Blaschek wurde in das Allgemeine Krankenhaus transportiert, wo sie nach sechs qualvollen Wochen den Geist aufgab.

Die Gerichtsärzte stellten bei ihr 30 Verletzungen fest, die mit Messer und Hacke zugefügt worden waren, insbesondere den Bruch des rechten Stirnknochens, den Verlust der Schneidezähne im Oberkiefer, den Bruch des rechten Mittelfingers, vielfache Hautritze, Blutunterlaufungen, Hautabschürfungen, vorzüglich im Gesicht. Am Kopf zählte man siebzehn, am Hals fünf, am Nacken zwei und an beiden Händen sechs Wunden. Von den Kopfwunden erwiesen sich sieben als schwer und in ihrem Verein als lebensgefährlich. Bei der Schlußverhandlung sah man als corpora delicti die blutigen Mordwerkzeuge und den schwarzen Koffer, erstere auf dem Gerichtstisch, den Koffer auf zwei Sesseln liegen.

Maria Stupka gestand, gegen die Blaschek mit der Hacke losgegangen zu sein, bestritt aber den Gebrauch des Messers. Sie habe von dem Mädchen geliehene sieben Gulden zurückgefordert (was unrichtig war, da die Angeklagte der ermordeten im Gegenteil noch zwei Gulden schuldete), da wies sie die Blaschek in brüsker Form ab.

Um nun zu ihrem Geld zu kommen, habe sie den Koffer der Landsmännin erbrochen. Darüber wäre die Kathi in Zorn geraten, habe gedroht, sie werde es ihrem Vater schreiben und auch den Landsleuten der Angeklagten von deren erlittener gerichtlicher Bestrafung Mitteilung machen. Ein Wort gab das andere, und als die Blaschek plötzlich mit Tätlichkeiten begann, habe sie, die Angeklagte, in blinder Wut eine Hacke ergriffen und auf ihre Gegnerin zugeschlagen. Als sie dann sah, was sie im Jähzorn angerichtet hatte, habe sie sich in den Abort verkrochen.

Der Staatsanwalt hatte natürlich die Anklage auf meuchlerischen Raubmord erhoben und ließ sich durch das Verhör der Angeklagten nicht von seinem Standpunkt abbringen. Er berief sich auf das Gutachten der Ärzte und die Angaben der Blaschek, die in direktem Widerspruch zu den Aussagen der Stupka stünden. Es sei derselben allem Anschein nach nur um die Erlangung von 22 Gulden gewesen, die sich das Dienstmädchen mühsam erspart hatte. Dies bilde nicht den Tatbestand des Totschlages, sondern den des meuchlerischen Raubmordes, weshalb er die Verurteilung zum Tod durch den Strang beantrage.

Diese Anschauung bekämpfte der Verteidiger Dr. Stall damit, daß er auf verschiedene dunkle Punkte der Anklage hinwies und betonte, der Staatsanwalt habe das Motiv und den Endzweck nicht mit der nötigen Klarheit festgestellt. Die Möglichkeit eines vorausgegangenen Streites könne man nicht von der Hand weisen. Der Vorsitzende, Landesgerichtsrat Pickher, ließ nach Beendigung des Plädoyers eine Pause eintreten und teilte mit, daß er das Urteil mittags publizieren werde. Dies erfolgte vor einem dichtgedrängten Auditorium.

Der Gerichtshof fand die Angeklagte des meuchlerischen Raubmordes schuldig und verurteilte sie dem Gesetzt gemäß zum Tode durch den Strang, doch werde das Urteil vorschriftsmäßig dem Obergericht vorgelegt. In der Begründung sagte der Vorsitzende, daß das Motiv zwar nicht völlig aufgeklärt worden sei, allein objektiv und subjektiv stünde der Tatbestand fest, und dies genüge dem Gericht. Ob die Triebfeder zur Tat mit der letzteren in Einklang zu bringen sei oder nicht, konnte den Gerichtshof nicht beirren.

Maria Stupka hörte die Ausführungen ruhig an und verriet ihre Nervosität nur durch ein auffälliges Gesichtszucken. Befragt, ob sie mit dem Urteil zufrieden sei, antwortete sie, daß sie nichts verstehe und das Weitere ihrem Verteidiger überlasse. Dr. Stall meldete sofort die Nullitätsbeschwerde an und motivierte sie mit den mangelhaften Sachverständigengutachten sowie mit der Unterlassungen des Untersuchungsrichters.

Der Strafakt ging bis zum Obersten Gerichtshof hinauf, der das Todesurteil bestätigte. Der Kaiser ließ jedoch Gnade walten, und Maria Stupka, deren Tat ungeteilte Empörung in Wien hervorgerufen hatte, wurde zur Verbüßung von 20 Jahren schweren Kerkers in eine Strafanstalt geschickt.

Der Fall wurde entnommen: Ubald Tartaruga: Der Wiener Pitaval. Eine Sammlung der interessantesten Kriminalprozesse aus Alt- und Neu-Wien. (Band II), Wien und Leipzig 1924, S. 210-215.

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