Lenka von Koerber – Reue, Teil 4

Und dann kam die Qual. In der engen Zelle zwischen den engen Wänden. Da kommen die Gedanken wie die Schlangen angekrochen und man kann sich nicht wehren.  Am Tag war es besser, aber wenn die Nacht kam, dann sah sie ihre Opfer vor sich und mußte immer wieder die Schlinge zuziehen. „Glauben Sie mir, das war entsetzlich.“

Sie hatte viele Strafen verbüßt, sie machte sich hart und trotzig gegen die Einsperrung, aber da innen fraß es an ihr und ließ ihr keine Ruhe. Der Mensch kann stehlen und betrügen, ohne die Tat zu bereuen, aber er kann nicht ungestraft morden, wenn noch ein Funken rechten Sinnes in ihm lebt. Wenn das nur die Fernstehenden wüßten, die jeden Mörder in ihrem Vergeltungswillen zermalmen möchten und meinen, er habe es zu gut in der Strafanstalt. Sie quälen sich alle. Bei den wenigen Stumpfen ist das Gewissen tot, aber vielelicht sieht es auch nur so aus, vielleicht dringen wir nur nicht in die letzten Schichten ihrer Seele.

Diese alte Verbrecherin weiß, was sie tat, und sie sieht ein, daß sie die Strafe verdient hat. Sie zeigt mir das Bild ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter. Der Sohn ist ehrlich und hat eine gut bezahlte Arbeit. Er besucht sie zuweilen und versichert, er werde sie aufnehmen, wenn sie einmal entlassen wird. Das wort Entlassung hat für langjährig Bestrafte einen märchenhaften Klang. Aber diese Mörderin will sich nicht betrügen. Sie weiß, sie würde den Sohn mit ihrer Gegenwart nur unglücklich machen, und sie weiß auch, daß sie nicht entlassen wird.

Zuweilen hadert sie mit dem Schicksal. Wenn die Erinnerungstage komme, diese Tage, an denen sie gemordet hat, dann kann sie unleidlich sein, und alle Gefangenen gehen ihr aus dem Wege. Es gibt auch andere Zeiten, in denen sie ihrer Bosheit die Zügel schießen läßt. Immer, wenn eine „Unschuldige“ eingeliefert wird, kann sie sich empören. Sie kennt ihre Schuld, aber diese da ist ja unschuldig. Und so spottet sie mit beißendem Hohn: „Frau Aufseherin, wieder einmal eine Unschuldige, es ist doch schrecklich, wie viele anständige Menschen vom Schicksal getroffen werden.“

Ihre Zelle ist kahl, sie mag sie nicht schmücken. Im Gemeinschaftssaal aber hat sie eine Blumenecke, die sie sorgsam pflegt. Es ist seltsam, wie gerade die Lebenslänglichen jedes Lebendige hüten. Sie zertreten keinen Wurm auf dem Wege, sie töten keine Fliege, sie achten das Dasein des kleinsten Pflänzchens, – vielleicht weil sie jetzt bewußt oder unbewußt ahnen, was Leben bedeutet.

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