Richard III. oder der Prinzenmord von London (1483)

Birgst du die Stirn` mit einer goldnen Krone,

Wo, gäb`s ein Recht, gebrandmarkt sollte stehn

Der Mord des Prinzen, deß die Krone war,

Und meiner Söhn` und Brüder grauser Tod?

Du büb`scher Knecht, sag`, wo sind meine Kinder?

(Shakespeare, Richard III.)

Als König Eduard IV. am 9. April 1483 starb, zählte sein ältester Sohn, Eduard V. erst dreizehn, der jüngere, Richard, erst sieben Jahre. Ihre Mutter Elisabeth, deren Bruder Graf von Rivers und ihre Söhne erster Ehe, der Marquis von Dorset und Lord Gray, hofften für den Unmündigen zu regieren. Aber durch die Begünstigung der Familie Wydville, die Eduard IV. früher um Thron und Reich gebracht hatten, bis zu seiner Wiederherstellung, war schon in den letzten Jahren dessen Herrschaft die Eifersucht des alten Adels, die Lords Hastings und Stanley an der Spitze, von Neuem erweckt worden. Vergebens hatte Eduard noch auf dem Sterbebett die Parteien zu versöhnen gesucht. Die Gegner der Wydevilles verlangten den Herzog von Glocester, als väterlichen Oheim, für die Regentschaft, und ihre Anträge wurden nicht zurückgewiesen.

Richard von Glocester, berüchtigt durch die tiefe Entartung der menschlichen Natur in ihm, allbekannt durch das Bild, das Shakespeares hohe, poetische Meisterhand von ihm entwarf, war von kleinem Körper und zurückschreckender Häßlichkeit. Bei der finsteren Verschlossenheit seines Gemütes hatten sich, so lange sein Bruder lebte, von der ungemessenen Herrschsucht, die ihn beseelte, nur wenige Spuren gezeigt. Jetzt hegte er keinen geringeren Plan, als den, selbst die Krone an sich zu reißen. List und Verstellung öffneten ihm die Bahn, Gewalt und Mord führten ihn weiter. Beim Tod seines Vaters befand sich der junge König zu Ludlow, an der Grenze von Wales, bei dem Grafen Rivers und seinem Stiefbruder, Lord Gray. Die verwitwete Königin wollte, daß diese beiden ihren Souverän unter dem Schutz eines Heeres nach London führten, aber die Gegenpartei, die sich durch diese Maßregeln gefährlich bedroht sah, erhob in den Beratungen so heftigen Widerspruch, daß Elisabeth nachgab, und Rivers nur mit geringer Begleitung aufbrach. Zu Northampton traf er den Herzog von Glocester, der ihn und Gray mit Auszeichnung empfing und auf das freundlichste bewillkommnete.

Am folgenden Morgen beschuldigte Richard sie jedoch plötzlich, ihm die Zuneigung seines Neffen entzogen zu haben, und ließ sie ergreifen. Darauf begab er sich zum König, beugte das Knie und versicherte ihn seiner treuesten Ergebenheit. Zugleich befahl er aber dessen Gefolge und Dienern bei Todesstrafe, auseinander zu gehen und sich nie wieder blicken zu lassen. Erschrocken, und von allen, die sein Vertrauen hatten, verlassen, weinte der Knabe, doch Glocester beschwor ihn, sich zu beruhigen, da nur die Treulosigkeit der Wydevilles diese Vorsicht nötig mache.

Auf die Nachricht von diesen Ereignissen, flüchtete Elisabeth mit ihrem zweiten Sohn Richard, ihren Töchtern und dem Marquis von Dorset in die Westminsterabtei, indes der Herzog, als er mit seinem gefangenen Neffen in London ankam, von den anwesenden Lords und Prälaten zum Protektor des Reiches während der Minderjährigkeit Eduards V. ernannt wurde. So schienen die Barone gesiegt zu haben, und die Wydevilles vom Thron verdrängt zu sein. Aber bald mußten die Barone zu ihrem Schrecken erfahren, daß sie einem Dritten in die Hände gearbeitet hatten.

Richard wußte wohl, daß Stanleys und Hastings Anhänglichkeit an die Söhne Eduards IV. nicht zu erschüttern sein würde, und eilte daher, ehe sie seine tiefer liegenden Pläne erraten und durchkreuzen könnten, sie zu stürzen und durch ihren Fall die übrigen Mitglieder ihrer Partei einzuschüchtern. Während alle Anstalten zu der bevorstehenden Krönung getroffen wurden, versammelte Glocester am 13. Juni einen Rat im Tower, in dem der junge König seinen Wohnsitz nehmen mußte. Der Herzog schien heiter und zutraulich. Nach einer Weile entfernte er sich, kehrte dann mit wilder Miene und hastigem Schritt in das Zimmer zurück und fragte die Versammlung, welche Strafe diejenigen verdienen, die sich an ihm, den Verweser des Reichs und dem Oheim des Königs, vergriffen.

Lord Hastings nahm das Wort und sagte: „Die Strafe der Verräter!“

„Nun wohl“, rief der Protektor, „diese Verräter sind meines verstorbenen Bruders Weib und seine Geliebte, Johanna Shore, samt allen ihren Gehilfen und Mitverschworenen! Seht her, wie sie mich behext haben.“ Dabei entblößte er seinen linken Arm, der ganz dürr und verschrumpft erschien. Die erschrockenen Räte, die recht gut wußten, daß dies ein altes Übel bei ihm war, sahen sich angstvoll und schweigend an, bis Richard zu Hastings gewandt fortfuhr: „Ihr selbst seid der Vertraue dieser nichtswürdigen Shore. Aber bei St. Paul, ich will mich nicht eher zu Tisch setzen, als bis mir euer Kopf gebracht ist.“

Er schlug mit der Faust auf den Tisch, und auf dieses Zeichen stürzte ein Haufen Bewaffneter herein, von denen einer, wie durch Zufall, mit seiner Streitaxt auf Lord Stanley losschlug, ihn aber nicht tödlich verwundete. Die Übrigen schleppten den unglücklichen Hastings gewaltsam in den Hof des Tower, zogen ihn bei den Haaren auf einen Balken, und hieben ihm den Kopf herunter.

Nachmittags erschien eine Bekanntmachung an das Volk, worin diese schnelle Hinrichtung durch die Beschuldigung gerechtfertigt werden sollte, daß Hastings sich gegen den Herzog von Glocester verschworen habe. Stanley blieb mit dem Erzbischof von York und dem Bischof von Ely, zwei einflußreichen Mitgliedern seiner Partei, in Richards Gewahrsam.

Zu derselben Zeit, als Hastings ermordet wurde, erschien Ratcliffe, einer der verwegensten Anhänger des Protektors, zu Pontefract, wo Rivers und Gray mit einigen anderen ihres Anhangs bewacht wurden, und ließ sie enthaupten. So waren beide Parteien durch den Sturz ihrer Führer vernichtet, und niemand schien übrig, von dem der Protektor hätte kräftigen Widerstand befürchten zu müssen. Eduard V., der Knabe, war im Tower in Gewahrsam. Zur Sicherheit beschloß Richard, auch seinen Bruder, der sich noch unter Elisabeths Augen in Westminster befand, in seine Gewalt zu bringen.

Von zahlreichen Bewaffneten begleitet, begab er sich dorthin, entschlossen, nötigenfalls Gewalt anzuwenden. Aber Elisabeth, von der Unmöglichkeit sich zu widersetzen überzeugt, gehorchte seiner Aufforderung, nachdem sie den Knaben unter strömenden Tränen noch einmal umarmt hatte, denn sie fühlte, daß sie ihn nicht wiedersehen würde. In den Tower gebracht, freuten sich die Knaben ihres Wiedersehens, und ihren kindlichen Sinn trübte keine Ahnung von der grausamen Tücke des Oheims.

Da Richard indessen keinen Versuch aufgeben wollte und konnte, so ließ er durch den Lord Major von London die Bürgerschaft auf das Stadthaus berufen und vertraute die Führung seiner Sache dem Herzog von Buckingham, seinem Vetter und treuen Genossen alles bisher vollbrachten Frevels. Dieser hielt eine Rede und fragte am Schluß die Versammelten, ob sie den Herzog von Glocester zum König haben wollten. Aber obgleich er seine Frage noch einmal wiederholte, blieb alles ruhig, worauf dann der Lord Major die Sache durch einen seiner Beamten zum dritten Mal vortragen ließ, damit es die Bürger besser verstünden. Dennoch regte sich keine Zunge.

„Hm!“, rief Buckingham, „das ist eine seltsame Hartnäckigkeit! Sagt doch nur auf irgendeine Art eure Meinung, Freunde. Es geschieht ja ohnehin nur aus einer besonderen Gefälligkeit gegen euch, daß wir euch fragen, denn die Lords und Gemeinen haben hinlängliche Gewalt, einen König zu bestimmen. Aber ich wünsche doch auch von euch ausdrücklich zu hören, ob ihr den Herzog von Glocester zu eurem Herrn haben wollt oder nicht.“ Nach allen diesen Bemühungen warfen dann endlich einige, zu diesem Ende gemietete Leute im Hintergrund des Saales die Mützen in die Höhe und riefen: „Gott erhalte den König Richard!“

Danach begab sich am folgenden Tag (26. Juni) der Herzog von Buckingham, von mehreren Baronen und Herren und einigen angesehenen Bürgern begleitet, zum Herzog, und überreichten ihm eine Adresse (Bittschrift), worin er ersucht wurde, die Krone von England, die ihm sowohl durch Erbrecht, als durch die Wahl des Volkes gebühre, nicht auszuschlagen. Richard heuchelte Überraschung, zeigte Unruhe und Verlegenheit, und erklärte endlich, daß er keine Ehrgeiz besitze, mithin habe die angetragene Würde keinen Reiz für ihn, er liebe seien Neffen und werde ihm den Thron aufbewahren. Aber als Buckingham das heuchlerische Possenspiel noch weiter trieb, tat Richard, als ob er sich in die Notwendigkeit und in den gemeinschaftlichen Willen des Volkes ergebe.

Bald nach seiner Krönung erhielt der Befehlshaber des Towers, Sir Robert Brakenbury, den Auftrag, die beiden Söhne Eduards IV. heimlich erwürgen zu lassen, aber dieser erklärte fest, daß eine Handlung dieser Art weder mit seiner Ehre, noch mit seinem Gewissen bestehen könne. Als der neue Herrscher darauf das Land durchreiste, um die Huldigung der Barone und Städte zu empfangen, sandte Richard seinen Stallmeister, Sir Jakob Tyrell, von Warwic aus mit dem schriftlichen Befhel an Brakenbury, jenem für 24 Stunden die Schlüssel des Tower zu übergeben. In der Nacht stieg Tyrell mit Forest, einem versuchten Mordgesellen, und Dighton, seinem Reitknecht, zum Schlafgemach der beiden Prinzen hinauf, und blieb an der Tür stehen.

Lieblich, Engeln gleich, hielt sich das junge, zarte Paar mit den unschuldigen Alabasterarmen umschlungen. Argloser Schlummer hatte sich auf ihre sanften Augenwimpern gesenkt und süße Träume umgaukelten sie. Auf ihrem Kissen lagen ein Rosenkranz und ein Gebetbuch, welches fast den Sinn des weicheren Forest umwandte. Da beugte sich zum Streich der ruchlosen Schlächterei der eingefleischte Schurke Dighton über die Knaben und, mit den Zähnen knirschend, blutgierig wie eine Hyäne, erstickten sie die holden Königssprossen mit Betten und Kissen. Die nackten Leichname warfen sie in eine Grube am Fuß der Stiege und bedeckten mit einem Haufen Steine die Stätte der tyrannisch, blutigen Tat, den ärgsten Greuel jämmerlichen Mordes, den jemals dieses Land verschuldet hat.

Aber die Rache ereilte Richard III., der seinen Thron mit vielem Mord befleckte und den kein Geschöpf lieben konnte. Zwei Jahre nach dem Kindermord wurde er in schrecklichem Schlachtengemetzel schändlich getötet.

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