Verjagtes Volk – Das Ende des Dorfes Lütsche – Eine Thüringer Waldtragödie

Das kleine Dorf Lütsche ist heute eine Wüstung südwestlich von Gräfenroda. Es wurde in den Jahren 1859 bis 1865 auf Anweisung von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha geschleift. Das Geschehen rund um das Dorf Lütsche beschäftigte den Bibliotheksdirektor H. A. Krüger, der Landesbibliothek auf Schloß Friedenstein in Gotha. Er ließ Gerichts- und Armenversorgungsakten der umliegenden Orte Liebenstein und Ohrdruf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts heraussuchen. Und tatsächlich fand sich eine ganze Akte mit der Überschrift „Die Auflösung der Gemeinde und Dorfschaft Lütsche“. Was Krüger zu lesen bekam, war schlimmste Beamtenwillkür. Zunächst wurden Baugesuche der Einwohner von Lütsche immer abgelehnt. Dann kam eines Tages von der Herzoglichen Landesregierung die „Höchste Anweisung“, daß alle Bewohner nach Amerika übersiedeln sollten. In der Akte fanden sich Originalbriefe des tapferen Schultheißen der Lütsche, Heinrich Elias Ernst Catterfeld, der seiner Behörde am 7. Juni 1856 antwortete: „Recht gerne wollen die Bewohner den Ort Lütsche meiden und sich entfernen wegen großer Armuth und Bedrückung von Seiten des diensteifrigen Forstpersonals zu Dörrberg; aber zur Auswanderung kann sich keiner entschließen. Die Leute könnten sich noch in eine größere Armuth und Jammer stürzen als wie sie jetzt im Orte Lütsche versunken sein.“

Dennoch bestand der Hofjägermeister darauf „die Entfernung der Einwohnerschaft von Lütsche keineswegs aufzugeben“. Vom Gräfenrodaer Pfarrer wurde ein „Seelenverzeichnis“ eingefordert, aus dem hervorging, daß in Lütsche 128 Einwohner lebten. Neue Repressalien folgten. Herzog Ernst II. von Coburg-Gotha trug die alleinige Verantwortung für die Vertreibung seiner Untertanen zu Gunsten seiner Hirsche. Da er in den Wäldern gern seine Jagden hielt, konnte es vorkommen, daß die armen Lütscher unerlaubterweise sich ein Wildbret holten.

Nach der Erstveröffentlichung des Buches waren die Nachfahren Herzog Ernst II. auf Schloß Friedenstein so erzürnt, daß der Bibliothekar Krüger seinen Posten als Bibliotheksdirektor verlor.

1924 erschien das Buch „Verjagtes Volk“, welches diesen Skandal zum Gegenstand hat. Jetzt wurde es vom Verlag Rockstuhl reprintet. Das Buch (ISBN 978-3-86777-145-0) kann für 19,95 Euro in allen Buchhandlungen oder direkt beim Verlag Rockstuhl (Tel. 03603/81 22 46) bezogen werden. (Quelle: Thüringer Allgemeine, Arnstädter Ausgabe v. 20. Januar 2010)

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Kriminalfälle veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.