Aberglauben und Verbrechen – Vampire, Vampyrs und schmatzende Tote – Vampirglaube – Teil 1

Heute beginnen wir mit einer neuen Reihe zum Thema Aberglauben und Verbrechen, die sich vornehmlich auf die Arbeit Albert Hellwigs stützt.
Vampirglaube
Die Vorstellung des krassen Materialismus, daß mit dem Tode alles aus sei, läßt sich nur bei wenigen Völkern nachweisen. Fast stets nimmt man im Gegenteil an, daß der Tote nicht nur in veränderter Form weiter lebt, sondern sogar auch unmittelbaren Einfluß auf die Geschicke der Lebenden auszuüben vermag, sowohl in günstiger als auch in verderblicher Weise. Dieser universale Glaube hat zu dem Totenkult geführt, indem man die Geister der Abgeschiedenen durch Opfer und Gebete für sich günstig zu stimmen suchte; darauf geht auch die unbedingte Pflicht der Blutrache zurück, weil man meint, daß der Ermordete keine Ruhe im Grabe habe, bis er gerächt sei und daß er bei Nichterfüllung dieser Pflicht die saumseligen Hinterbliebenen beunruhige; auch das testamentarische Erbrecht läßt sich auf diesen Glauben zurückführen, indem man die letztwilligen Bestimmungen der Sterbenden aus angst vor ihrer Rache einhält.
Tote, die irgendwie Grund haben, mit den Lebenden unzufrieden zu sein, rächen sich, indem sie Krankheit, Mißwachs und allerlei Unglück über sie bringen. Derartige Sagenkreise von wiederkehrenden Toten finden sich auf dem ganzen Erdenrund. Eine eigenartige Gestaltung dieses Glaubens, die hauptsächlich auf slawischem Gebiet heimisch zu sein schein, ist der Vampirglaube. Man meint nämlich, daß gewisse Tote, deren Leiche durch irgendeinen Zufall nicht verwese, den Lebenden nächtlich das Blut aussaugen und so ihren Tod herbeiführen.
Vampir kann man werden durch Ansteckung und durch äußere Umstände. So tut der bulgarische Diener der Reisenden Clair und Brophy in der Fastenzeit Buße, um nicht Vampir zu werden wie sein Vater. Allgemein ist der Glaube, daß er von einem Vampir Gezeugte nach seinem Tode selber ein Vampir werde. In einzelnen Fällen wird der Unglückliche als ein vom Schicksal zum Vampir Bestimmter geboren, in Norddeutschland oft gekennzeichnet durch angeborene Zähne, durch einen roten Fleck oder sonstige körperliche Anomalien. Bei den Walachen werden unehelich geborene Kinder unehelich Geborener nach dem Tode Blutsauger, bei den Russen und Neugriechen von den Eltern Verfluchte und Exkommunizierte, in Dalmatien Geizhälse, arge Flucher und wer an Fasttagen arbeitet. Bei den Slawen trifft dieses Geschick alle Leute, die unbußfertig gestorben sind, z. B. Selbstmörder, an Trunksucht Verstorbene, plötzlich vom Schlage Gerührte, angebliche Zauberer und Hexen, Andersgläubige, die ersten Opfer einer ansteckenden Seuche. Kommt einem Leichnam ein Zipfel des Totenhemdes in den Mund oder hat der Tote keinen Zehrpfennig mit ins Grab bekommen, so verschlingt er das Totenkleid, ja er fällt sich selbst an und verzehrt sein eigenes Fleisch. Das schmatzende Geräusch ist weithin vernehmbar, und, solange es dauert, sterben Verwandte und Freunde dahin.
Wie man sieht, kann man in einigen Fällen verhindern, daß ein Toter ein Vampir wird, in anderen Fällen wiederum nicht. Um die Wiederkehr eines toten zu verhindern, muß man ihm einen Pfennig in den Mund geben, die bekannte Totenmünze, oder man legt zwischen Brust und Kinn ein Blatt Papier, einen Kloß Erde, ein Bild und dergleichen oder bindet ihm den Mund zu, um so das Kauen zu verhindern. Auch trägt man den Toten mit den Füßen voran aus dem Elternhause oder trägt ihn unter der Schwelle durch hinaus und meint dann, daß er den Weg zurück nicht mehr finden könne.
Sind diese Vorsichtsmaßregeln aber vergessen, oder haben sie keinen Erfolg, so gilt es, sich gegen das Treiben des Vampirs zu schützen. Man legt ihm im Osten Deutschlands Fischnetze, Mohnkörner und dergleichen in den Sarg und glaubt, daß er jedes Jahr einen Knoten auflösen oder ein Mohnkorn aufsammeln müsse, und erst wenn er alle Knoten gelöst oder alle Mohnkörner gesammelt habe die Lebenden belästigen könne. Die Rumänen fesseln ihrem Toten die Füße, um ihm am Verlassen des Sarges zu hindern; auch schlägt man den Sarg verdächtiger Toter ganz besonders fest zu mit Riegeln und eisernen Klammern.
Dies sind alles Vorsichtsmaßregeln, die noch nicht zu einer Leichenschändung führen. Der Gedanke liegt aber nahe, daß man sich des Toten am besten versichern könne, wenn man ihm die Fußzehen durchschneidet, oder ihm den Kopf abhackt, oder ihm seine Hände und Füße mit Nägeln an die Sargwand nagelt oder ihn auf ähnliche radikale Weise hindert, die Grabesgruft zu verlassen. Viele Prozesse auch der letzten Zeit zeigen, daß derartige Mittel tatsächlich noch angewandt werden; zwar sind neuerdings nur aus dem Osten Europas derartige Leichenschändungen bekannt geworden, aber nichts bürgt dafür, daß nicht auch in den westlichen Kulturstaaten eines Tages noch wieder ein derartiger Fall die Gerichte beschäftigen könnte. Aus: Albert Hellwig: Verbrechen und Aberglaube. Berlin 1908. Fortsetzung folgt!

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