Das Geheimnis der Marianne Brodka (Preußen – 1943) Teil 2

Während die Durchsuchung des Mordhauses im Gange war, erschien eine gewisse Anna Gründer. Sie gab sich als alte Bekannte der Marianne Brodka aus und wollte eben diese besuchen. Die Ermittler begannen sofort, sie zu verhören. Als Frau Gründer zu erzählen begann, staunten sie nicht schlecht: Zwei Tage zuvor habe Marianne sie gebeten, ihr behilflich zu sein. Sie habe nämlich auf dem Dachboden eine alte Zinkwanne mit alten Teppichen stehen. Sie wolle all dies nun entrümpeln, ob sie ihr dabei nicht helfen könne, da sie die Wanne nicht allein tragen könne. Wenig später habe sie dann ihrer Freundin geholfen, die Wanne, die übrigens sehr schwer gewesen sei, in einen Raum in der oberen Etage zu tragen, in dem ein großer Kleiderschrank stand. Sie habe sich nicht weiter darum gekümmert und sei wieder gegangen. Etwas Verdächtiges sei ihr nicht aufgefallen. Als die Beamten sie mit der Tatsache konfrontierten, daß sie damals geholfen hatte, eine Leiche nach unten zu transportieren, fiel Frau Gründer in Ohnmacht und mußte zu einem im Nebenhaus wohnenden Arzt gebracht werden.

Noch am selben Abend erhielt die Mordkommission den Sektionsbefund. Er bestätigte den Augenschein am Fundort, denn Schipper war von fünf Schüssen direkt in den Brustkorb getroffen worden, davon einer mit Durchschuß. Alle Schüsse waren aus nächster Nähe abgegeben worden, doch war ihre Reihenfolge nicht feststellbar. Aber: jeder für sich hätte tödlich wirken können. Ein Schießsachenverständiger stellte fest, daß Hülsen und Geschosse einwandfrei ein und demselben Pistolenkaliber angehörten.

Es bestand nun kaum noch ein Zweifel: Marianne Brodka hatte Schipper ermordet. Und man wußte, daß sie zu ihrer Mutter nach Nidden gefahren war, wußte, in welchem Hotel sie abgestiegen war. Am Sonnabend, dem 26. Juni, nachmittags wurde sie, als sie von den Dünen zurückkehrte, im Foyer des Hotels „Hermann Blode“ von einem Landjäger festgenommen. Sie hatte am Tag zuvor in dem Badeort den Ersten Staatsanwalt von Königsberg kennengelernt, der wie viele andere Königsberger auch das schöne Wetter des Wochenendes zu einem Strandaufenthalt nutzte, ja hatte mit ihm einige Stunden allein in den Dünen verbracht …* Mit dem nächsten Dampfer wurde sie zunächst nach Cranzbeek, dann mit der Eisenbahn zurück nach Königsberg gebracht, wo man sie sofort ins Polizeipräsidium an der Stresemannstraße einlieferte. Es befand sich bequemerweise nur wenige Schritte vom Nordbahnhof entfernt. Noch am Abend begann man mit der Vernehmung, die bis tief in die Nacht dauern sollte. Auf ein Tatgeständnis brauchte der Kriminalkommissar nicht lange zu warten: Marianne Brodka räumte schon zu Beginn ein, ihren Freund Schipper mit fünf Pistolenschüssen ermordet zu haben, „weil er mich erpreßte“. Nein, einen Mittäter habe sie nicht gehabt.

* Die Lebenserinnerungen ihres Strafverteidigers lassen da mehrere Schlüsse zu.

Demnach hatte sie nach mehreren lockeren Beziehungen einen jungen Mann kennengelernt, der zwar nicht ihre große Liebe bedeutete, aber dennoch so etwas wie einen Menschen, mit dem sie sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen konnte. Für den 23jährigen Handlungsgehilfen Bruno Schipper aber schien die junge Frau die langgesuchte Liebe zu sein. Er sprach sofort von Verlobung und Heirat, allerdings erst, wenn der Krieg aus sei. Man traf sich gelegentlich im Fremdenheim, wurde in einem der leerstehenden Zimmer intim.

Eines Tages führte Marianne Brodka ihren Hund auf der hinter dem Fremdenheim gelegenen Schloßteichpromenade aus. Dort bemerkte sie auf einer Bank sitzend einen etwa 30 Jahre alten, sonnengebräunten und gut aussehenden Mann in der Uniform eines französischen Soldaten. Man kam ins Gespräch, und dabei erfuhr die Brodka, daß er aus Marseille stamme und in einem Kriegsgefangenenlager außerhalb der Stadt wohne, aber sich frei in Königsberg bewegen dürfe. Als Musiker spielte er sogar in der Königsberger Rundfunkkapelle.

Beide begannen ein intimes Verhältnis, obwohl sie sich der Tragweite ihrer Handlung bewußt waren: Beziehungen zwischen einer Deutschen und einem Kriegsgefangenen wurden schwer geahndet. Dies kümmerte jedoch weder die liebeshungrige junge Frau noch den Südfranzosen. Immer wenn der Franzose in der Stadt war, empfing sie ihn in einem abgelegenen Zimmer im zweiten Stock der Pension. Ihr neuer Geliebter war so ganz anders als Schipper, der ihr, wie sie später vor Gericht aussagen sollte, nur „halb sympathisch“ war. Sie verstand es, ihre neue Liebschaft vor dem Handlungsgehilfen geheimzuhalten. Auch ihre Mutter weihte sie nicht ein. Diese weilte sowieso häufig in Nidden. Ihre Abwesenheit nutzte sie, den Kriegsgefangenen im Fremdenheim zu empfangen, ihn mit echtem Bohnenkaffee, Likör und Abendbrot zu bewirten. Schließlich beendete sie die Beziehung zu Schipper völlig.

Schipper litt sehr unter dem Ende der Beziehung. Er suchte die Brodka Tag für Tag im Fremdenheim auf und machte ihr Szenen. Er beschwor sie, seine Freundin zu bleiben. Die junge Frau ließ sich jedoch nicht erweichen, auch dann nicht, als er damit drohe, sich das Leben zu nehmen. Sie wußte genau, daß er dazu nicht in der Lage sein würde.

Der abgewiesene Liebhaber begann, Marianne Brodka zu beschatten. So sah er eines Tages, wie ein französischer Kriegsgefangene in Uniform das Fremdenheim betrat und dort längere Zeit verweilte. Eine dunkle Ahnung stieg in ihm auf. Und daß die Brodka in ihrer Leidenschaft zu dem Franzosen völlig unvorsichtig wurde, kam ihm schließlich entgegen. Eines Nachmittags vergaß Marianne Brodka, das Zimmer abzuschließen, in dem sie sich gerade mit dem Franzosen vergnügte. Plötzlich stand Schipper im Zimmer, starrrte beide haßerfüllt an und stürmte davon.

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