Das Geheimnis der Marianne Brodka (Preußen – 1943) Teil 3

Am selben Abend trafen sich die Brodka und Schipper in den Anlagen am Schloßteich zu einer Aussprache. Er drohte damit, sie anzuzeigen, weil sie sich mit einem Kriegsgefangenen eingelassen habe. Das würde, so malte er ihr aus, bis zu zehn Jahren Zuchthaus bedeuten. Sein Freund, der Arbeitsdienstführer, habe ihm dazu geraten. Und er stellte sie vor die Wahl: Entweder sie kehrte zu ihm zurück, oder aber sie würde für viele Jahre ins Zuchthaus wandern!

Da stand ihr Entschluß fest: Falls Schipper ihr nicht versprechen sollte, sie nicht anzuzeigen, und auch nicht von ihr abließ, mußte er beseitigt werden! Einerseits wollte sie dem Zuchthaus entgehen, andererseits wollte sie ihre Liebschaft mit dem Franzosen um jeden Preis fortsetzen. Sie wußte, daß Schipper es ernst meinte. Zunächst aber spielte sie die Reumütige. Sie bat ihn, ihr ein paar Tage Zeit zu lassen, damit sie sich von ihrem neuen Liebhaber trennen könne. Das gab ihr genügend Spielraum, den Tod ihres früheren Freundes, sollte er tatsächlich unvermeidlich sein, in allen Einzelheiten zu planen und vorzubereiten.

Nun brauchte sie nur noch eine Schußwaffe. Sie hatte einmal an einem Schießkursus teilgenommen, den die Königsberger Polizei veranstaltete. Da hatte sie den Kaufmann Arno Schleiminger kennengelernt. Schleiminger erklärte sich nun bereit, ihr seine Waffe zu leihen. Sie wolle damit ihren „kränkelnden“ Hund erschießen, sagte sie, und befriedigte seine Neugierde. Marianne versteckte sie in einer Waschschüssel auf dem Dachgarten des Bodens. Dann bat sie Schipper zu einer letzten Aussprache – im Fremdenheim, da ihre Mutter wieder in Nidden sei und auch keine Gäste zu erwarten seien.

Am Nachmittag gegen 16.30 Uhr traf Schippert im Haus in der Münzstraße ein. Marianne bat ihn zum zum Dach hinauf, dort könne man sich im Sonnenschein aussprechen. Die entsicherte Schußwaffe hatte sie in die rechte Tasche ihres Kleides gesteckt. Als Schipper im Begriff war, die zum Dach führende schmale Stiege zu betreten, hielt sie ihn am Ärmel fest. Ob er sie wirklich anzeigen wolle, fragte sie ihn. Ob er denn nicht von ihr lassen könne. Der Mann beteuerte daraufhin, er sei sehr verliebt in sie und wolle sie heiraten. Und er forderte sie auf, als deutsche Frau dort auf dem Dachboden zu schwören, mit Gaston sofort Schluß zu machen, sonst würde er sofort zur Polizei gehen und sie anzeigen. Als anständiger Deutscher sei er sowieso dazu verpflichtet. Er hoffe sehr, daß sein Freund, der Arbeitsdiensttruppführer, als Parteimitglied dies nicht schon von sich aus getan habe.

Die Brodka fragte ihn noch, ob nichts ihn umstimmen können. Nein, nichts könne ihn umstimmen, kam die Antwort. Das war das Todesurteil für den Mann …

Wortlos zog die Brodka die Pistole aus der Kleidtasche, richtete sie mit den Worten „Dann mußt du sterben“ aus nächster Nähe auf ihren völlig verdutzten früheren Liebhaber und feuerte ab, direkt ins Herz zielend. Schipper öffnete den Mund und sah sie mit geweiteten Augen an. Da feuerte sie auch schon den zweiten Schuß ab, der ihn ebenfalls in die Brust traf. Doch noch immer stand das Opfer. Erst beim dritten Schuß sackte er zusammen. Während er fiel, schoß die Brodka das Magazin der Pistole leer. Fünf Schüsse hatten den 23jährigen genau in den Brustkorb getroffen, der sechste blieb in der Dachsparre stecken. Schipper war tot. Seine Mörderin ging wieder in die Wohnung hinunter. Dann bekam sie es plötzlich mit der Angst zu tun. Was, wenn Nachbarn die Schüsse gehört hatten? Sie lief rasch auf den Dachgarten hinauf und sah sich um, doch war alles ruhig. Ihre Tat hatte keine Ohrenzeugen, geschweige denn Augenzeugen gehabt.

Sie kehrte zu dem Toten zurück. In die Freude darüber, daß sie nun der verhängnisvollen Anzeige entkommen war, mischte sich die Sorge, was mit der Leiche geschehen solle.Das hatte sie merkwürdigerweise nicht in ihre Planungen einbezogen. Aus dem Schlafzimmer holte sie sich einen Kopfkissenbezug und zog ihn dem Toten über den Kopf. Dann wickelte sie ihn in einen größeren Bettbezug, schließlich in eine Bettdecke und schnürte das „Paket“ zu. Mit letzter Kraft hob sie das schwere Bündel in eine alte Zinkwanne, die auf dem Dachboden stand, und deckte diese mit alten Teppichen zu.

Dann bat sie ihre Bekannte Anna Gründer, bei dem Transport der Wanne in eines der Zimmer des Fremdenheimes behilflich zu sein. Kaum war ihre Bekannte gegangen, versuchte sie, den Leichnam in den Kleiderschrank zu zwängen. Das gestaltete sich als äußerst schwierig, da bereits die Leichenstarre eingesetzt hatte. Kaum hatte sie es geschafft, drückte der tote Körper immer wieder die Schranktür auf. Schließlich gelang es ihr, die Tür mit einem dagegengepreßten Stuhl zu schließen.

Als am Abend Schleiminger das Fremdenheim aufsuchte, um sich die Waffe zurückgeben zu lassen, staunte er nicht schlecht, den Hund noch lebend, vor allem laut bellend vorzufinden. Dennoch fehlten alle Patronen aus dem Pistolenmagazin, wie er feststellte. Da gestand die Brodka ihm, sie habe soeben mit dieser Waffe einen Menschen getötet. Der Kaufmann war zuerst entsetzt, doch dann verfiel er der Mörderin. Weil sie ihm, der sie schon seit langem begehrte, eine gemeinsame Nacht in Aussicht stellte, gab er ihr Ratschläge, was mit der Leiche zu tun sei und wie sie alle Spuren verwischen könne. Er weigerte sich aber, ihr dabei helfen, die Leiche nachts aus dem Hause zu schaffen und sie im Schloßteich zu versenken. Zunächst aber war er ihr behilflich, die Zinkwanne auf den Dachboden zurückzubefördern. Dann verbrachten sie gemeinsam die Nacht – in einem Raum direkt neben dem großen Kleiderschrank mit der Leiche darin … Aber auch das konnte Schleiminger am nächsten Morgen nicht dazu bewegen, bei der Fortschaffung der Leiche zu helfen.

Am Freitag vormittag schloß Marianne Brodka das Fremdenheim ab, ging zum Nordbahnhof und setzte sich in den Zug nach Cranzbeek. Von dort nahm sie den Dampfer nach Nidden. Jetzt war es ihr völlig egal, was mit der Leiche im Schrank passierte ….

Nach Abschluß des Verhörs wurde die Beschuldigte dem Haftrichter vorgeführt. Dieser erließ Haftbefehl. Sie sei „dringend verdächtigt, einen Menschen, nämlich Bruno Schipper, getötet zu haben, und zwar heimtückisch aus niedrigen Beweggründen und um eine von ihr begangene Straftat zu verdecken, Verbrechen nach § 211 Strafgesetzbuch“. Dieser Paragraph sah mildernde Umstände nicht vor. Und so kam Marianne Brodka ins Untersuchungsgefängnis im Landgerichtsgebäude an der Stresemannstraße, direkt gegenüber dem Nordbahnhof. Ihre bange Frage, was mit ihr geschehen würde, beantwortete ihr Anwalt Paul Ronge aus Königsberg offen und schonungslos: Die Todesstrafe war da zwingend vorgeschrieben.

Am darauffolgenden Sonntag versammelte sich vor dem Fremdenheim eine bis zu 200 Köpfe zählende Menschenmenge. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß man die Mörderin zu einem Lokaltermin vorführen würde. Tatsächlich erschien gegen 17 Uhr Marianne Brodka, an einen Polizisten gefesselt und in Begleitung von Beamten der Mordkommission und der Staatsanwaltschaft, vor dem Haus. Die Menge brach sofort in Schmährufe aus, die Untersuchungsgefangene wurde als „Hure“, „Volksverräterin“, schamloses Frauenzimmer“ und „gemeine Mörderin“ bezeichnet. Groß war die Empörung über diesen abgefeimten Mord, nicht nur in der Pregelstadt, sondern darüber hinaus im gesamten Ostpreußen.

Inzwischen war auch Schleiminger, der just am Vortag zum Standortbataillon in Königsberg eingezogen war, unter dem Verdacht der Mittäterschaft verhaftet worden. Ihm wurden unerlaubte Waffenüberlassung und Begünstigung zum Mord vorgeworfen.

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