Die Kindermörderin Pöhlmann

Was ich (Johann Ludwig Caspar) bereits über weibliche Verbrecher sagte, kann durch kein Beispiel glänzender bewahrheitet werden, als durch das folgende, worin wir einen Teufel in Gestalt eines Weibes, eine Mutter auftreten sehen, die ihr kleines Kind längere Zeit hindurch einer selbst erfundenen, ganz neuen Qual aussetzte und es am Ende mordete. Der seltene Fall rechtfertigt eine ausführlichere Mitteilung nach den mir vorliegenden Akten.

Im Gebüsch unfern der Stadt wurde am 24. September 18.. in einem Korb der Leichnam eines etwa zwei Jahre alten, sehr abgemagerten Knaben mit erheblichen Verletzungen am Kopf aufgefunden. Bald ermittelte man, daß die Eheleute Pöhlmann, Webergesellen, die Eltern des Kindes waren, das dieselben, da sie den Tag über auf Arbeit gingen, teils allein im Hause zu halten, teils der Witwe Sellheim zur Aufsicht zu übergeben pflegten.

Ein Verbrechen seitens der Eltern schien umso wahrscheinlicher, als sich sehr bald ergab, wie lieblos diese das Kind hielten. Alle Zeugen sagten übereinstimmend aus, daß die Pöhlmann ihr Kind nicht nur nicht geliebt, sondern daß sie stets die heftigsten Schimpfreden gegen dasselbe ausgestoßen hatte, es auf das Empörendste wiederholt mit Rute, Rohrstock oder Pantoffel gezüchtigt, und es hungern ließ, so daß man das Kind häufig mit Gier selbst rohe Kartoffelschalen essen sah.

Ja, mit welcher gewiß unerhörten Nichtswürdigkeit, mit welcher raffinierten Grausamkeit diese Megäre ihr leibliches Kind gepeinigt hatte, ergab die von Zeugen deponierte Tatsache, daß die Eltern das Kind zu mehreren Malen, wenn sie auf Arbeit gingen, mit Hunderten von Wespen, die sie zu diesem Zweck eingefangen, allein im Zimmer eingesperrt hatten!

Am Abend vor seinem Tod hatte die Pöhlmann das Kind von Sellheims abgeholt. Sie fand, als sie ankam, daß sich das Kind verunreinigt hatte. Da faßte sie es, nach der wörtlichen Angabe eines fünfzehnjährigen Knaben, der im Zimmer war, am Arm, und befahl ihm aufzustehn. Als das Kind nicht aufstehn wollte, schleuderte sie es erst eine Strecke von vier Fuß nach dem Sekretär zu, dann stieß sie es mit dem Fuß so, daß es bis in die Mitte der Stube hin kollerte. Hierauf ergriff sie es mit beiden Händen beim Kopf, und stauchte es wohl gegen fünf Mal vorn mit der Stirn heftig gegen den Fußboden. Dabei drehte sich das Kind mit dem kopf herum, und sie stauchte es noch mit der Seite des Kopfes auf den Fußboden. Endlich versetzte sie ihm noch mit der Faust mehrere heftige Schläge ins Genick und auf den Rücken. Hierauf nahm sie das matte und stöhnende Kind an die Hand, befahl ihm mit nach Hause zu gehen, und äußerte: „Wenn du heute nicht läufst, so schlage ich dich noch rein tot!“

Und anderthalb Stunden später war das Kind tot!

Was in der Zwischenzeit zwischen ihrer Ankunft mit dem Kind in ihrer Wohnung und der Rückkehr ihres Ehemannes anderthalb Stunden später, dem sie vorredete, sie habe das Kind bei der Sellheim gelassen, mit dem nun verstorbenen Knaben vorfiel, das zu ermitteln war die Aufgabe unserer gerichtsärztlichen Untersuchung der Kindesleiche, da die Mutter in zwei Instanzen auf das Beharrlichste und Frechste leugnete, das Kind getötet zu haben. Vielmehr räumte sie nur ein, daß sie dem fortdauernd ungehorsamen Knaben einen Schlag mit der flachen Hand in die Weichen gegeben hätte. Nach drei Monaten trat sie in der Appellationsinstanz vollends mit der Behauptung auf, das Kind sei von einer Fußbank gefallen, und müsse sich auf diese Weise tödlich verletzt haben!

Wir aber fanden als Ursache des Todes Sprengung der Schädelknochen und andere absolut tödliche Kopfverletzungen, die notwendig zu der Annahme führten, daß eine heftige äußere Gewalttätigkeit, wie Schläge und Stöße gegen den Kopf mit stumpfen Werkzeugen und Körpern, den Tod des Kindes veranlaßt habe, wobei es einer ausführlichen Widerlegung der absurden Zugeständnisse der Mutter selbst für den Laien nicht bedurfte.

Ich bemerke noch, als charakteristisch für den Gemütszustand dieses Weibes, daß sie, nachdem das Kind verstorben war, es in Betten wickelte, und die Leiche, um sie vor ihrem Ehemann zu verbergen, unter ihr Bett stellte, in welchem sie die Nacht ruhig schlief! Am anderen Morgen ging sie mit dem Leichnam, den sie verdeckt in einem Korb trug, und mit einer Kartoffelhacke, damit die Leute glauben sollten, daß sie zum Kartoffelgraben ginge, fort, und versteckte Korb und Leiche in dem Gebüsch, in welchem sie aufgefunden wurde.

Man würde sich nicht wundern, wenn man hörte, daß die Physiognomie dieses Weibes das abschreckendste Bild darbot, daß der Stempel einer bösen, verbrecherischen Gemütsart sich in einer gallichten Gesichtsfarbe, wild-funkelnden Augen, markierten, häßlichen Zügen usw. scharf ausgeprägt gezeigt habe. Nichts von alledem! Das noch junge, einige dreißig Jahre alte Weib sah nicht anders aus und figurierte auf der Anklagebank nicht anders, als Tausende von Berlinerinnen aus der niedrigsten Volksklasse. Von mittlerem, mehr hagerem Wuchs, trug sie ihr hellbraunes Haar nicht ohne Sorgfalt gescheitelt, wie überhaupt Haltung und Anzug ärmlich, aber nicht gemein und unsauber erschienen.

Die dunklen Augen waren nicht auffallend lebendig oder leidenschaftlich, die Züge ruhig, nur ein, zur Gewohnheit gewordenes Verziehen des linken Mundwinkels deutete wohl auf ein gehässiges Wesen. Im Ganzen aber war auch bei dieser schweren Verbrecherin, wie in ihren Zügen, so auch in ihren Reden, in ihrer Erzählung des nach ihrer Weise zurechtgestutzten Tatbestandes, in ihren Entgegnungen auf die sie so belastenden Vorhaltungen der Ausdruck der eisigen Ruhe, der empörendsten Gemütskälte nicht zu verkennen.

Es kostete sie nichts, Verbrecherin, Mörderin ihres Kindes zu werden, denn der gefühllos-kalten Seele fehlte die Liebe, die dem verbrecherischen Anreiz hätte siegreichen Widerstand hätte leisten können. Und gewiß war auch dieses Weib für das, was diese Blätter zu beweisen sich vornahmen, ein beachtenswertes, ein wichtiges Beispiel.

Sie wurde in der ersten Instand zum Tod mit der damals noch gesetzlichen Schleifung zur Richtstätte verurteilt, hatte aber das Glück, in der Appellationsinstanz das Erkenntnis in zwanzigjährige Zuchthausstrafe gemildert zu sehen.

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