Strychnin für die Liebe – Eine Leseprobe aus Thüringer Mörderinnen (Schwarzburg-Rudolstadt 1910-1913)

Die Stadt Königsee liegt eingebettet in der ausgedehnten Thüringer Waldlandschaft. Hier, wo es vornehmlich im 18. und 19. Jahrhundert die Menschen durch den einzigartigen Olitätenhandel, also der Produktion und Verbreitung von Haus- und Geheimmitteln, zu einigem Wohlstand gebracht hatten, schienen die Menschen zufrieden, glücklich und friedfertig zu sein. Jedoch am letzten Tag des Jahres 1910 ereignete sich ein Mordanschlag, der diese Idylle für viele Menschen in der kleinen versponnenen Stadt Königsee für längere Zeit vergessen ließ und auch über die Grenzen des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt hinaus für Schlagzeilen sorgte.

Für den Wirt der Gastwirtschaft „Zum weißen Roß“ hatte der 31. Dezember 1910 ganz normal begonnen. Schon lange wünschte sich Franz Enders eine moderne Acetylenbeleuchtungsanlage für seine Wirtschaft. Koste es was es wolle, sie mußte noch im alten Jahr fertiggestellt werden.

Um noch einige Teile für die Anlage bearbeiten zu lassen, hatte er sich schon gegen zehn Uhr bei dem Klempnermeister Otto Scharfe eingefunden und unterbrach den Arbeitsbesuch nur, um zu Hause bei seiner Gattin Mathilde sein Mittagessen einzunehmen. Anschließend verfügte er sich sofort wieder zu dem Handwerker. Bei dem Klempner angelangt, steckte sich Franz Enders genüßlich eine dicke Zigarre an und rauchte sie bis etwa zur Hälfte auf.

Plötzlich legte er den Glimmstängel ab und klagte über Unwohlsein. Dem robusten Mann wurde schwindlig und schließlich schwarz vor Augen. Dann begannen seine Beine steif zu werden. Auf die Frage des Otto Scharfe, was er gegessen habe, gab er zur Antwort: „Ich habe Mehlbrei gegessen, der Zimt daran hat so bitter geschmeckt. Bestimmt ist er schuld an meinem Unwohlsein.“

Scharfe holte schnell ein Glas Wasser und eine Flasche süßen Likör herbei. Von beiden trank Franz Enders, dessen Zustand sich aber trotz der Getränke verschlechterte. Auch der Genuß von zwei bitteren Likören brachte keine Besserung. Den Anwesenden konnte nicht entgehen, wie sich der Zustand des Geplagten von Augenblick zu Augenblick verschlechterte. Die Arme fingen an zu zittern, die Beine wurden immer steifer. Die Extremitäten des Enders zuckten von Zeit zu Zeit krampfartig und ausbrechender Schweiß hatte schon längst den ganzen Körper überzogen. Selbst das Einflößen von Kaffee und Milch brachte keine Linderung. Da Enders nun meinte, es gehe mit ihm zu Ende, schickte Meister Scharfe auf dringenden Wunsch des so schwer Erkrankten nach dem in der nähe ansässigen praktischen Arzt Dr. med. Wolfgang Anderl.

Als der Mediziner eintraf, konnte er beim Patienten Steifheit der Gliedmaßen, besonders der Beine, und eine abnorme Steigerung der Reflexe, zum Beispiel starkes Zusammenzucken bei Berührungen feststellen. Dr. Anderl befand sofort, daß bei Enders eine Vergiftung mit Strychnin vorliege und ließ dessen Magen auspumpen. Während dieses Vorganges sagte Klempner Scharfe zu Enders: „Du hast von jemanden was gekriegt, stimmts?!“, worauf dieser nickte.

Nach dem Auspumpen des Magens verbesserte sich der Zustand des Kranken allmählich. Gegen sechs Uhr abends wurde er in seine Wohnung zurück gebracht. Franz Enders hatte eine starke Natur und wohl auch viel Glück. Nach einigen Tagen war der Gastwirt wieder völlig genesen.

Der ausgepumpte Inhalt des Enders‘schen Magens war in einen herbeigeholten Emailleeimer gelangt und wurde noch am Nachmittag des 31. Dezember 1910 der Königseer Polizeibehörde übergeben. Von dort brachten Beamte den Mageninhalt von Enders in das Institut für Pharmazie und Nahrungsmittelchemie der Universität Jena. Die durch Prof. Dr. Matthess vorgenommene Untersuchung des Erbrochenen ergab zweifelsfrei das Vorhandensein von Strychnin. Damit fand die von Dr. Anderl gestellte Diagnose auf Vergiftung durch Strychnin Bestätigung.[1]

Nun stellte sich die Frage, ob Enders sich etwa das Strychnin in selbstmörderischer Absicht beibrachte. Jedoch das Verhalten des Wirtes vor und während der Erkrankung, so ergab die Untersuchung, schloß aus, daß der Mann selbst Hand an sich gelegt hatte.

Weiter Nachforschungen ergaben: Der Ehemann Enders kam hungrig nach Hause und seine Frau Mathilde Enders setze ihm einen Mehlbrei vor. Obgleich dem Mann die Speise etwas bitter vorkam, aß er sie mit den folgenden bekannten Erkrankungserscheinungen. Den leeren Teller leckte der Hund der Enders ab, der kurz darauf ähnliche Krämpfe wie sein Herrchen erleiden mußte.

Bald fiel der Verdacht der Rudolstädter Untersuchungsbeamten auf die Ehefrau und deren Geliebten, den Königseer Porzellandreher Günther Kühnas.

Schon sechs Wochen nach der Vergiftung des Franz Enders hatte sich das Liebespaar vom 11. bis 13. Februar 1911 vor dem Gemeinschaftlichen Schwurgericht Weimar mit seinem Vorsitzenden Oberlandesgerichtsrat Höfling aus Jena zu verantworten. Die Anklagebehörde vertrat der Erste Staatsanwalt Bernhard aus Rudolstadt. Die Verteidigung hatten die Rechtsanwälte Schäfer und Dr. Tegetmeyer aus Weimar übernommen.

Die Anklage lautete auf versuchten Mord und Beihilfe dazu. Im Einzelnen wurde der am 18. Februar 1865 in Königsee geborenen Gastwirtin Mathilde Auguste Emma Enders zur Last gelegt, ihren Ehemann, den Gastwirt Franz Enders vom „Weißen Roß“ in Königsee, am 31. Dezember 1910 in seine Mittagssuppe Strychnin gemischt zu haben. Der Angeklagte Hugo Günther Kühnas, geboren am 6. Januar 1883 in Barigau, sollte ihr das Gift dafür besorgt haben.

Die bisher nicht vorbestrafte 45jährige Frau Enders, machte äußerlich den Eindruck einer kleinen Bürgersfrau. Während der Verhandlung sprach sie sehr leise, so daß der Gerichtsdiener ihr einen Stuhl vor den Richtertisch stellen mußten, damit sie besser verstanden werden konnte.

Ihre Ausdrucksweise, so teilte die Schwarzburg-Rudolstädtische Landeszeitung den Bürgern des Fürstentums mit, sei etwas besser, als sie gewöhnlich in ihren Kreisen zu sein pflegt und die ganze Art ihrer Verteidigung nicht ungeschickt. Kühnas dagegen wäre ein 28jähriger kräftiger Mann von gewöhnlichem Aussehen. Das Ehepaar Enders, daß das Gasthaus ‚Zum weißen Roß‘ in Königsee inne hatte, sei seit 1883 verheiratet und es waren der Ehe fünf Kinder entsprossen. Der älteste Nachkomme wäre schon ein Mittzwanziger. Die Eheleute weilten längere Zeit in Amerika, wo der Mann als Brauer arbeitete und die Beiden sich ein kleines Vermögen erwarben. Sie kamen dann nach Königsee, wo die Enders die Wirtschaft und Land erwarben.

Die Ehe war indes wenig glücklich, es kam häufig zu Differenzen, wobei es manchmal Prügel für die Frau setzte. Und auch mit der ehelichen Treue soll die Gattin es nicht allzu genau genommen haben. Zuletzt stand sie in einem Verhältnis zu dem Mitangeklagten Kühnas. Die Anklage nehme an, daß dieses Verhältnis ein ehebrecherisches gewesen sei.

Günther Kühna, ebenfalls verheiratet, lebte jedoch schon längere Zeit von seiner Frau getrennt. Die Beziehung der Enders zu dem Kühnas dauerte schon länger, und es war sowohl in der Endersschen Ehe als auch in derjenigen der Kühnas deswegen wiederholt zu skandalösen Szenen gekommen, bei denen die beiden Ehemänner gewöhnlich ihre Frauen durchprügelten. Die Anklage brachte außerdem noch eine ganze Reihe von Einzelheiten vor, die das intime Verhältnis der beiden Angeklagten illustrierten.

Danach spitzten sich die ehelichen Verhältnisse bei den Enders schließlich derart zu, daß Anfang 1910 von der Ehefrau ein Scheidungsversuch unternommen wurde. Im Juli desselben Jahres reichte dann auch der Ehemann eine Scheidungsklage ein, die sich „auf Untreue, schlechte Behandlung und Trachten nach dem Leben“ stützte. Der angesetzte Sühnetermin verlief resultatlos und die Ehescheidungsklage ruhte.

Von der Anklagevertretung wurde ferner festgestellt, daß Kühnas seit Jahren Stammgast im „Weißen Roß“ war und bereits vor, aber auch nach seiner Verheiratung wiederholt im Lokal übernachtete. Immer wieder war Mathilde Enders in die Kammer des Gastes Günther Kühnas geschlüpft, hatte mit ihm ausgiebig Wein getrunken und sich unerlaubter Liebe hingegeben. Franz Enders, den dieser Verkehr seiner Frau mit dem um so viele Jahre jüngeren Liebhaber demütigte, verbot nun seiner Frau den Umgang mit dem Nebenbuhler. Damit war jedoch kein Mittel gefunden, den Liebesverkehr zwischen den Angeklagten zu beenden. Im Gegenteil! Die Verliebten kamen nunmehr noch öfter an allen nur erdenklichen Orten zusammen und ließen keine Gelegenheit aus.

Die Angeklagten bestritten jede Schuld. Matthilde Enders ließ wissen, daß sie weder mit Kühnas, der nur ein guter Freund gewesen sei, in einem sträflichen Verhältnis gestanden, noch ihrem Mann das Strychnin in den Brei getan habe. Alles sei eine Reihe unseliger Zufälle. Das Unwohlsein ihres Mannes kam nach ihrer Meinung von dem verwendeten Zimt, dessen Bittersein allen aufgefallen war. Sie selbst habe nach dem Essen etwas Übelkeit verspürt. Der Körper wehrte sich heftig und hätte alles erbrochen. Dann sei es ihr besser gegangen. Tochter Irene und zwei Wirtshausgäste, die ebenfalls Mehlbrei mit Zucker und Zimt gegessen hätten, seien von jeder Vergiftungserscheinung frei geblieben. Mathilde Enders äußerte auch den Verdacht, ihr Mann habe sich selbst umbringen wollen. Schließlich hätte er Gift im Haus zur Bekämpfung von Ratten aufbewahrt.

Auch Kühnas behauptete, unschuldig zu sein, obgleich die Gendarmen bei seiner Verhaftung noch sechs Gramm Strychnin in dessen Wohnung gefunden hatten. Nach der Vernehmung der Angeklagten kamen die Zeugen zu Wort.

Ein Zeuge namens Seele aus Enders Königseer Nachbarschaft, der oft in der Gastwirtschaft „Zum weißen Roß“ verkehrte, bestätigte, daß es ein gespanntes Verhältnis der Eheleute Enders hin und wieder gab. Mathilde Enders sei völlig aufgewühlt und verändert gewesen, weil der etwa 18 Jahre jüngere Kühnas sie begehrte

Der Zeuge Heinrich bekundete ähnliches. Einmal will er gehört haben, daß die Angeklagte zu ihren Töchtern gesagt habe: „Der Mann muß zugrunde gehen. Ich kann mit meinem Mann nicht mehr leben!“

Heinrich war am Tage der Tat im Lokal und hatte den Vergifteten mit ins Bett gebracht. Einen Tage später, als er sich nach des Franz Enders Befinden erkundigte, habe ihm die Angeklagte mit Verachtung die Worte entgegen geschleudert, daß ihr Mann in der Gottesackerkapelle und der Hund im Garten begraben würden. Diese Äußerung habe die Angeklagte mehrfach wiederholt.

Daraufhin unterbrach Mathilde Enders den Zeugen und rief in den Saal, Heinrich möge sich hier nicht von Feindschaft gegen sie leiten lassen, weil sein eigenes Werben um ihre Gunst zurückgewiesen worden wäre!

Die Zeugin Klara Kühnas, die Ehefrau des Angeklagten, äußerte, sie hätte sich in den Anfangszeiten der Ehe mit Günther über ihren Mann nicht beklagen können. Eine Änderung sei eingetreten, als er mit der Enders in Verkehr trat. Vor drei bis vier Jahren stürzte Günther, der damals in Königsee Arbeit hatte, einmal mit dem Fahrrad. Aus diesem Anlaß kam Mathilde Enders in die Wohnung der Familie Kühnas nach Dröbischau, um Günther zu besuchen. Zu seiner Stärkung brachte sie eine Flasche Rotwein mit, wie sie sagte, auf Anregung ihres Mannes. Gleich nach Betreten der Wohnung hätte sie ihr ein Fünfzigpfennigstück gegeben und sie fortgeschickt, um Bier zu holen. In der Zeit blieb Mathilde Enders bei Günther Kühnas. Als sie mit dem Bier zurück kam, war die Enders bereits weggegangen. Als sie Jahre später an einem Donnerstag in seinen Taschen einen Zettel entdeckte, der von der Angeklagten geschrieben war, änderte sich alles schlagartig und ihr war klar, wie lange das Verhältnis zwischen den Beiden schon andauern mußte. Die Enders hatte geschrieben: „Ich komme nicht Montag, sondern am Donnerstag.“

Da wußte Klara Kühnas sofort, was dies zu bedeuten hatte. Sie überbrachte die Zeilen dem Gastwirt Enders. Die beiden Betrogenen suchten nun gemeinsam das Paar, fanden es aber nicht. Sie habe sich dann wegen Günthers Verhältnisses zu der Enders von ihm getrennt.

Mehrere Zeugen ließen wissen, daß sich die Angeklagten immer öfter an verschiedenen Orten zu Stelldicheins trafen und nächtliche Spaziergänge unternahmen.

Zeuge Raimund Ludwig, ein Verwandter der Klara Kühnas, traf im Juni 1910 die beiden Angeklagten im Hotel „Coburger Hof“ an, wo beide als „Mann und Frau“ nächtigten. Dort ließ er sich den Anmeldezettel zeigen, auf dem die Worte standen: „Günter Kühnas, Landwirt, mit Frau aus Königsee.“

Bereits im Jahre 1906 habe die Enders, so bezeugte ein weiterer vorgeladener Königseer vor Gericht, ihrem Geliebten einen goldenen Ring geschenkt, in dem eingraviert war: „M.E. 1906.“

Die Angeklagte, vom Vorsitzenden danach befragt, erinnerte sich nicht an das dem Kühnas überlassene Geschenk, fügte aber hinzu, wenn sie das wirklich getan habe, so sei es jedenfalls deshalb geschehen, weil man Gäste schmieren müsse.

Den Aufenthalt des Paares im „Coburger Hof“ sollte auch die Zeugin Minna Zimmermann bestätigen, die an jenem Tag mit ihrem Zuhälter in der Herberge mit gehobenem Standard weilte. Die Verteidigung beantragte die Landstreicherin, eine sogenannte „Trippelschikse“, aufgrund ihres Lebenswandels und zahlreicher Vorstrafen wegen Gewerbsunzucht, Diebstahls und Widerstandes gegen die Staatsgewalt, nicht als Zeugin zuzulassen. Dem Antrag wurde vom Gericht entsprochen.

Der Königseer Apotheker, Zeuge Uphues, beteuerte, daß der Bäckermeister etwa zwei Jahre vor seinem Tod zwei Gramm Strychnin bei ihm einkaufte. Viel später gab er dem Angeklagten Günther Kühnas acht Gramm des gefährlichen Giftes ab. Frau Mathilde Enders dagegen erwarb in seiner Apotheke nie Strychnin.

Der Königseer Polizeiwachtmeister Heinrich Röser sagte aus, daß die Angeklagte als fleißige Frau galt. Von den ehelichen Zerwürfnissen hörte er erst kurz vor dem Mordversuch. Einmal wurde er von der Enders’schen Tochter Irene zu Hilfe geholt, als der Wirt seine Frau mißhandelte.

Vom Vorsitzenden nach der Wahrhaftigkeit dieser Aussage befragt, verweigerten die Zeugen Gastwirt Enders und dessen Tochter Irene die Aussage. Hierauf trat eine einstündige Prozeßpause ein.

Nach Wiederbeginn der Verhandlung bekundete Ehemann Enders entgegen seiner Vormittagserklärung, er wolle nun doch aussagen. Der Zeuge schilderte zunächst das gute eheliche Verhältnis in den Anfangsjahren, dann die mehr und mehr zunehmenden Differenzen, die schließlich durch das Verhältnis seiner Gattin zu Kühnas zu Auseinandersetzungen führte. Später, so bekundete der Gastwirt, hätte sich die Beziehung zwischen den Eheleuten wieder besser gestaltet.

Franz Enders gab sich ersichtliche Mühe, seine Ehefrau zu entlasten. So habe er nie von einem Verhältnis seiner Frau mit Kühnas etwas persönlich wahrgenommen, nur von dritten Seiten davon gehört. Seine Angaben über die Vorgänge vor, während und nach seiner Vergiftung trugen nicht zur Belastung seiner Ehefrau bei. Diese habe sich danach vielmehr recht angelegentlich um seinen Zustand gekümmert.

Am späten Nachmittag, gegen dreiviertel sechs Uhr, endete die Beweisaufnahme.

In seinem umfangreichen Plädoyer gab der Staatsanwalt seiner Überzeugung Ausdruck, daß die Schuld der beiden Angeklagten voll erwiesen sei. Seine einstündige Rede gipfelte in der Feststellung, daß das Motiv der Tat in den zerrütteten Familienverhältnissen der Eheleute Enders zu erblicken sei, in der Hauptsache durch die Schuld der Angeschuldigten, die ihrem Ehemann die eheliche Treue nicht bewahrte, sondern schon längere Zeit intime Beziehungen zu anderen Männern unterhielt, insbesondere zu dem Mitbeschuldigten, dem Porzellandreher Günther Kühnas.

Vor allem der Versuch der Ehefrau, ihrem Manne einen Selbstmordversuch anzudichten, sei völlig mißlungen. Sowohl bei der Angeklagten Enders, als auch bei ihrem „Galan“ wäre die Schuldfrage zu bejahen.

Die Verteidigung hingegen hielt die Indizien nicht für ausreichend, um die Schuld der beiden Angeklagten zweifellos zu beweisen. Daher baten sie die Geschworenen, die Schuldfrage zu verneinen.

Nach fast einstündiger Beratung verkündete der Obmann den Spruch der Geschworenen, der für beide Angeklagten auf schuldig des vorsätzlichen Mordversuchs respektive der Beihilfe hierzu lautete.

Der Erste Staatsanwalt beantragte hierauf für die Enders fünf Jahre Zuchthaus und zehn Jahre Ehrverlust. Gegen Kühnas forderte der Anklagevertreter drei Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust.

Der Gerichtshof folgte bei Günther Kühnas dem staatsanwaltlichen Antrag. Bei Mathilde Enders urteilten die Richter über diesen Antrag hinaus, indem sie auf sieben Jahre Zuchthaus und zehn Jahre Ehrverlust erkannten.

Günther Kühnas verzichtete noch am 13. Februar 1911 auf Einlegung der Revision gegen das Urteil des Gemeinschaftlichen Schwurgerichts und wurde am 28. Februar mit folgenden Erkennungsmerkmalen in die Königliche Strafanstalt Kassel-Wehlheiden eingeliefert: Günther Kühnas: Körpergröße 1,71m, kräftige Statur, blonde Haare, breite Stirn, blaugraue Augen, blonde Augenbrauen, gesunde Zähne, gesunde Gesichtsfarbe und frei von Ungeziefer.

Da auch Mathilde Enders einige Tage später auf das Rechtsmittel der Revision verzichtete, erfolgte ihre Überführung in die Königlich Preußische Strafanstalt Delitzsch am 8. März 1911 mit dem sie beschreibenden Erkennungsblatt: Mathilde Enders: Körpergröße: 154 cm, mittlere Statur, dunkelblonde Haare, breite Stirn, trägt Ohrringe, braune Augen, defekte Zähne, Nase, Kinn und Mund gewöhnlich, gesunde Gesichtsfarbe und frei von Ungeziefer.

Auf Antrag ihres Mannes Franz Enders gewährte man Mathilde Ende 1912 und Anfang 1913 eine mehrmonatige krankheitsbedingte Strafunterbrechung. Am 24. Januar, gleich nach der Rückkehr aus Königsee in die Delitzscher Strafanstalt, beantragte sie schriftlich bei der Schwarzburgischen Staatsanwaltschaft beim Landgericht Rudolstadt die Wiederaufnahme ihres Verfahrens.

In ihren Zeilen äußerte Mathilde Enders, daß ihr Mann kürzlich verreist war, als sie in Königsee war. Durch Zufall wäre ihr während der Haftunterbrechung im Haus ein Schreiben in die Hände gefallen, in welchem Franz Enders zugäbe, daß er Gift im Zustand von nervöser Aufregung selbst genommen habe. Außerdem könne ihre Tochter Irene bezeugen, daß der Ehegatte damals ausreichend Gift besessen hatte.

Ihrem Schreiben fügte die Ehefrau eine eidesstattliche Erklärung des Franz Enders vom 19. Dezember 1912 hinzu, in der es heißt: „Ich versichere hiermit der Wahrheit gemäß und an Eidesstatt, daß ich am 31. Dezember 1910, das fragliche Gift, infolge einer nervösen Aufregung freiwillig zu mir genommen habe. Meine Ehefrau Mathilde Enders geb. Nöller in Königsee ist unschuldig und hatte von meiner Handlung keine Kenntnis.“

Zunächst bewirkten die übersandten Schreiben die Wiederaufnahme der Untersuchung des etwa drei Jahre zurückliegenden Giftmordversuches, auch mit der neuerlichen Befragung des Verurteilten Kühnas. Dieser bekräftigte seine Unschuld und betonte: „Wenn ich meine Strafe verbüßt habe, werde ich es als meine Pflicht betrachten, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die in meinem Strafprozeß ihre falsche Aussage mit einem Eid bekräftigt haben. Ich behalte mir indessen vor, auch meinerseits noch vor meiner Entlassung meinen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu stellen.“

Inzwischen hatte Franz Enders noch behauptet, daß im Mehlbrei kein Gift war. Er habe das Gift mit einem Stückchen Butter separat zu sich genommen.

Am 24. Juni 1913 faßte das Landgericht Rudolstadt, nach nochmaliger Vernehmung zahlreicher Zeugen, den Beschluß, den Antrag der Enders auf Wiederaufnahme auf ihre Kosten zu verwerfen und begründete dies u. a. wie folgt: „Enders Selbstbezichtigung verdient keinen Glauben. Sein Verhalten vor der Vergiftung steht ihr entgegen. Sie ist weiter damit unvereinbar, daß auch der Hund unzweifelhafte Anzeichen einer Strychninvergiftung zeigte. Der Hund hatte die Reste verzehrt, die Enders auf seinem Teller übrig gelassen hatte. Wenn Enders das Gift auf einem Stückchen Butter zu sich genommen hätte, wäre die Vergiftung des Hundes unerklärlich.“

Strychnin ist ein sehr giftiges Alkaloid, welches im Samen des Brechnußbaumes und der Ignatiusbohne vorkommt. Bereits in geringen Dosen bewirkt Strychnin eine Starre der Muskeln. Es wurde früher auch als Rattengift verwendet. Strychnin bildet farblose, äußerst bitter schmeckende Kristalle, die in Wasser kaum, in Alkohol und Chloroform gut löslich sind. 1929 schrieb Louis Lewin in seinem Lehrbuch der Toxikologie „Gifte und Vergiftungen“ (Berlin, 1929): „Vergiftungen mit Strychnos oder Strychnin ereigneten sich früher selten, jetzt, zumal zum Mordzweck, häufig. (…) Ich kenne allein aus dem Jahre 1925 zwölf Mordversuche und erfolgreiche Morde, für die das Gift, z. B. zu 2 g, in den von dem Opfer benutzten Salznapf oder in das Kaffeegetränk geschüttet worden war.“ (S. 790). Über die Symptome beim Menschen gibt er folgendes an: „Mitunter ein brennendes Gefühl im Magen, selten Erbrechen. Oft zeigen sich prämonitorisch (im voraus): Ziehen, Steifigkeit oder Schmerzen oder Spannung in den Kau- und Nackenmuskeln, allgemeines Unbehagen, Ameisenlaufen, ein lästiges Muskelspannungsgefühl, Schwere. Die Kiefer werden gespannt, als wenn die Beweglichkeit ihrer Gelenke gehindert würde, auch leichte Muskelzuckungen entstehen, z. B. in den Waden (…) In schwereren Fällen folgt jedoch, gewöhnlich nach einer Bewegung und bei einigen Individuen unter lautem, auch während der Krämpfe anhaltendem Schreien ein tetanischer (muskelkontrahierender) Anfall. Der Kopf wird nach dem Nacken gezogen, die Hände sind geballt, die Muskeln angespannt, der Körper steif, die Augen verdreht, vor dem Munde steht Schaum, die Atmung hört auf, das Gesicht ist zyanotisch (bläulich verfärbt), selten rot und geschwollen, die Augäpfel hervorgetrieben, starr, die Pupillen erweitert und der Puls meist unfühlbar. Ein Mann, der Strychnin enthaltenden Kaffee – angeblich nur einen Schluck – getrunken hatte, fühlte etwa 15-20 Minuten später, als er in den Hof gegangen war, um das Anspannen des Fuhrwerks zu beschleunigen, das ihn zum Arzt bringen sollte, ein Versagend er Beine. Unter lautem Schreien „Krampf, Krampf!“ verzerrten sich seine Gesichtszüge, Trismus (tonischer Krampf der Kaumuskulatur des Unterkiefers) trat ein, die Hände ballten sich, die Beine führten Beuge- und Streckbewegungen aus. Nach etwa viertelstündiger Dauer kam Opisthotonus (Krampf der Streckmuskulatur des Rückens) dazu. Die Krämpfe wiederholten sich und eine Stunde nach dem Trinken erfolgte der Tod.“ (S. 794)

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