Aus dem Leben des Scharfrichters Josef Lang (1855-1925)

Die Illustrierte Kronen=Zeitung vom Freitag, dem 21. Juli 1933 (Nr. 12.032, 34. Jahrgang), widmete sich auf der Titelseite und mit einer Geschichte dem Scharfrichter Josef Lang. Unter dem Titel Ein Jubiläum des Grauens. 30 Jahre nach der letzten Hinrichtung in Wien erfahren wir einige interessante Details, wie z. B. den Inhalt des Speisezettels des Raubmörders Anton Senekl, des letzten von Lang Hingerichteten.

Ein Jubiläum des Grauens

Die letzte Hinrichtung in Wien vor 30 Jahren – Das Verbrechen Anton Senekls –

Die Geliebte in der Armensünderzelle

Der Text der Illustrierten Kronen=Zeitung (S. 6 f.): „Es war vor etwa dreißig Jahren, daß im sogenannten „Galgenhof“ des Wiener Landesgerichts die letzte Hinrichtung vollzogen wurde. Justifiziert wurde der 29jährige Messerschmiedgehilfe Anton senekl, einer der verstocktesten Verbrecher, die jemals auf der Anklagebank saßen. Sein Herz war auch in seinen letzten Stunden der Reue nicht zugänglich, mit einem widerlichen Zynismus ging er in den Tod. Senekl war der dreizehnte, der auf dem Richtplatz im „Grauen Haus“ sterben mußte. Bis zum Jahr 1876 wurden die zum Tode Verurteilten bei der „Spinnerin am Kreuz“ dem Henker übergeben. Der Briefträgermörder Francesconi war der erste, der im Landesgericht justifiziert wurde, Anton Senekl der letzte.

Senekls Verbrechen

Anton Senekl hatte in der Nacht vom 8. auf den 9. August des Jahres 1902 die 81jährige Trafikantin Jüllich von Jüllichthal im Schlaf ermordet und beraubt. Die Greisin wohnte allein in ihrer Wohnung in der Grimmgasse. Der Mörder hatte sich, als die Bedienerin der Jüllich abends für kurze Zeit die Wohnung verlassen und dabei die Tür offen gelassen hatte, in die Wohnung eingeschlichen, unter dem Bett verborgen und abgewartet, bis die Greisin sich zur Ruhe begab. Als sie eingeschlafen war, schlich sich Senekl aus einem Versteck hervor, stürzte sich auf die Schlafende und schlachtete sie mit einem Hirschfänger förmlich ab. Nachdem er die Leiche mit einem Tuch bedeckt hatte, raubte er alle Wertsachen, Geld, Lose und Pretiosen und entfloh durch das Fenster der ebenerdig gelegenen Wohnung. Von dem Mörder fehlte anfangs jede Spur. Nur ein Fußabdruck an dem beim Fenster stehenden Diwan zeugte davon, daß ein Mann aus dem Fenster gestiegen war.

Doch schon am Morgen des 10. August gelang es dem Wachebeamten Eckelsdorfer, Senekl als den Mörder im Prater zu verhaften. In seinem Besitz fanden sich noch die geraubten Gegenstände vor. Senekl legte ein umfassendes Geständnis ab, das er aber später widerrief. Am 24. Februar 1903 stand der Meuchelmörder vor seinen Richtern. Die Geschworenen bejahten die ihnen vorgelegte Hauptfrage einstimmig. Der Gerichtshof fällte das Urteil: Tod durch den Strang. Als der Vorsitzende, Oberlandesgerichtsrat Diestler, Senekl fragte, ob er die Strafe annehme, da schrie er mit geballter Hand gegen die Richter drohend: „Ja, aber Rache bis ins vierte Glied!“ Senekl benahm sich in der Folge gegen das Aufsichtspersonal sehr gewalttätig. Er zerbrach das Geschirr, unternahm einen Fluchtversuch, bis er schließlich in Ketten gelegt wurde.

Die letzten Stunden in der Armensünderzelle

Mittags am 24. April 1903 wurde Senekl mitgeteilt, daß der Kaiser „nicht befunden hat, eine Begnadigung eintreten zu lassen“ und das Urteil somit in Rechtskraft erwachsen sei. „Das Urteil wird morgen um sieben Uhr früh an Ihnen vollzogen werden.“ Mit diesen Worten schloß der Vorsitzende. Hierauf wurde Senekl in die Armensünderzelle gebracht, die im Landesgericht die offizielle Bezeichnung „Krankenzelle Nr. 2“ trug. In diesem Raum mußte jeder zum Tod Verurteilte die letzten Stunden verbringen, die ihm noch zu leben übrig waren.

Senekl trug eine geradezu zynische Heiterkeit zur Schau, die ihn fast bis zur letzten Minute nicht verließ. Mit tierischer Gleichgültigkeit ließ er alles über sich ergehen. Den Trost des Beichtvaters lehnte er entschieden ab. Hingegen ließ er sich sofort eine Mehlspeise bringen und verlangte verschiedene Sorten Zigarren. Um fünf Uhr nachmittags bat Senekl, man möge ihm die Ketten abnehmen. Sein Wunsch wurde erfüllt und alsbald fielen die Ketten klirrend zu Boden. Abends empfing der Delinquent den Besuch seines Verteidigers. Zum Nachtmahl ließ sich Senekl ein Naturschnitzel mit Häuptsalat geben. Nach dem Abendessen fragte ihn der Kerkermeister, ob er vielleicht Wuchteln essen wolle, sein Frau habe eben welche gebacken. Senekl bejahte freudig und verzehrte zwei Stück mit bestem Appetit. Auf die Frage des Kerkermeisters, wie es ihm geschmeckt habe, erwiderte Senekl mit einer bezeichnenden Geste: „Ah, sehr gut. Das macht die Frau Kerkermeister schon a so!“

Die Nacht verbrachte Senekl schlaflos. Er schritt ruhelos in der Zelle auf und ab und rauchte. Nicht weniger als 28 Zigarren hat er in dieser Nacht verraucht. Der Kerkermeister mußte spät nachts noch fünf Trabucco und fünf Britannica aus einem nahegelgenen Kaffeehaus holen lassen. (Dies geht aus dem von uns veröffentlichten Rechungszettel hervor.) Abends nach dem Nachtmahl verlangte er eine Schokolade, „damit die Seel´besser rausrutscht“, fügte er, über den eigenen Scherz lachend, hinzu. Ungebeugt, reuelos, verbrachte Senekl die letzten Stunden. Auf jede Frage, die an ihn gerichtet wurde, fand er ein Scherzwort; bei ihm der richtige „Galgenhumor“. Bevor Senekl den Weg zum Tod antrat, empfing er den Besuch seiner Geliebten, der Mutter seines Kindes. Als er sie an sich ziehen wollte, um sie zu küssen, streckte das Mädchen abwehrend die Hand gegen ihn aus. Der Kerkermeister geleitete die gebrochene, unglückliche Frau aus der Zelle.

Die Exekution

Schlag sieben Uhr betrat Scharfrichter Lang mit seinen Gehilfen den sogenannten „Galgenhof“ des Landesgerichts. Sie stellten sich neben dem Richtpflock auf, der im Lauf der Nacht errichtet worden war. Unmittelbar danach erschien die Gerichtskommission. Von Justizbeamten begleitet, betritt Senekl den Hof. Was sich nun ereignete, war das Werk weniger Minuten. Senekl hatte wiederholt die Drohung ausgesprochen: „Unterm Galgen werd`i dem Staatsanwalt noch meine Meinung sagen!“ Es war daher an den Exekutionsleiter die Weisung ergangen, die Exekution so schnell als nur möglich vornehmen zu lassen. Der Exekutionsleiter tritt rasch an den Scharfrichter heran, ruft ihm zu: „Herr Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes!“

Im selben Augenblick ergreifen die beiden Gehilfen des Scharfrichters den Delinquenten und heben ihn empor. Der Scharfrichter ist mittlerweile die Stufen des Galgens hinausgeeilt. Er verdeckt mit den Händen das Gesicht Senekls. Dann ein kurzer Ruck, ein Augenblick – Anton Senkl ist tot. Der Scharfrichter meldet den Verzug der Exekution. Nach anderthalb Minuten war der Tod eingetreten. So endete der letzte Raubmörder, der im Galgenhof des Wiener Landesgerichts hingerichtet wurde.

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