Mordfälle im Bezirk Gera – eine Rezension von Dr. Udo Hagner

Hans Thiers: MORDFÄLLE IM BEZIRK GERA. BERICHTE / BILDER / DOKUMENTE 1973-1990. Mit einem Vorwort von Michael Kirchschlager; Kirchschlager Verlag Arnstadt, 1. Auflage 2014, 289 S., ISBN 978-3-934277-47-2


Seit dem Sommer 2014 sorgt ein regionaler Bestseller im ehemaligen Bezirk Gera für Furore und viele ausverkaufte Lesungen. Daher erstaunt es umso mehr, dass es sich dabei um ein Sachbuch handelt und um den „Erstling“ des Autors überhaupt. Nachdem bereits einschlägige Bücher über Kriminalfälle im mittleren und westlichen Thüringen von Klaus Dalski aus dem gleichen Verlag vorliegen, unternahm es Kriminalrat a.D. Hans Thiers, ehemaliger Leiter der Morduntersuchungskommission des Bezirkes Gera, auch aus seinem dreißigjährigen Erfahrungsschatz und da insbesondere aus den Jahren 1973 bis 1990 zu berichten. Dabei konnte die von ihm geleitete Mordkommission immerhin eine der höchsten Aufklärungsraten in der DDR verzeichnen. 45 Fälle aus dem ganzen Bezirk Gera, zumeist aber aus dem Raum Gera werden dargestellt; dazu waren im Nachhinein neben der sicherlich schlecht verblassenden Erinnerung umfangreiche Recherchen u.a. im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt erforderlich. Zum Teil im Detail und eng an der Ermittlungsakte – häufig mit Abbildungen – werden die Fälle und auch die Überführung der Täter vorgestellt, was seltsame und eigenartige Ermittlungsmethoden im Einzelfall – z.B. einer „Käse,-Cola- und Zigarettentaktik“ nicht ausschloss. Gewürdigt wird auch das konstruktive Zusammenwirken mit der Jenaer Gerichtsmedizin, hingegen bleibt die kriminaltechnische Spurensuche und Auswertung manchmal etwas verdeckt.

Wenngleich eine Aufklärungsrate von 98 % verzeichnet werden konnte, liegen dem Autor die offen gebliebenen Fälle besonders am Herzen, der tote Säugling, wohl geboren im Zug zwischen Saalfeld und Pößneck (1989), sowie die Fälle der Manuela Wagner aus Gera (1983) und Ines Heider aus Hermsdorf (1990). Hier und in anderen Fällen werden Kopien der Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen dargeboten und der Originalakten abgebildet. Der Anblick von Leichen, im Kriminalfilm und nicht nur dort alltäglich, mag sensible Gemüter abschrecken, vertieft aber eindrucksvoll das Vorgestellte. Inwieweit auch das nur leicht retuschierte Foto eines Täters (S. 276) den heutigen Datenschutzbestimmungen entspricht, mag dahinstehen. Im Buch selber sind aus uns näheren Umgebung folgende Fälle enthalten: die Tötung von Neugeborenen: in Weida (1974), Endschütz (1980) und Auma (1984). Dazu kommen aus dem nunmehr sächsischen Vogtland: die Tötung einer jungen Frau mit anschließender Verstümmelung in Elsterberg (1986) und der Totschlag an der Ex-Ehefrau in Pausa (1988). Das zweifellos schlimmste Beispiel aus unserer Region ist allerdings jener Fall einer inzestiösen Beziehung von Vater und Tochter in Zeulenroda. Zwischen 1975 und 1983 wurden diesem „Paar“ sechs Kinder geboren und diese wurden sämtlich nach der Geburt von ihr getötet! Aus dem engen Bezug vieler Leser des Jahrbuches zum Raum Gera, wird der eine oder andere Fall erfahrungsgemäß nicht nur den Zuhörern der Lesungen, sondern auch des Buches und unseres Jahrbuches nach Jahrzehnten wieder in Erinnerung kommen.

In den allermeisten Fällen werden die Klarnamen der Beteiligten verschlüsselt. Ausgenommen wurden mit Einverständnis der Familien die oben bereits als ungeklärt gebliebenen Fälle der Manuela Wagner und Ines Heider mit der vagen Hoffnung, vielleicht noch immer beide Fälle endgültig abschließen zu können.

Vielen Lesern und Zuhörern der Lesungen wird sich die Frage stellen: Lebten wir tatsächlich so sicher in der DDR? Und nicht die, aber vielleicht eine Antwort wird lauten: Nicht die organisierte Kriminalität prägte die Tätigkeit der Geraer MUK, sondern die Wahrheit war viel banaler: auch die gefühlte und manchmal bedrückend empfundene Sicherheit des DDR-Alltags war eine – nicht trügerische – aber doch auch nur scheinbare: denn der Täter oder auch die Täterin war – sinngemäß – der Nachbar oder die Nachbarin von Nebenan. Seien es die Pädophilen, die den sexuellen Übergriff auf Kinder durch Mord zu vertuschen suchten, die jungen Frauen, denen ihre Babys scheinbar im Weg im Alltag zum neuen Liebesglück standen oder überbordende Aggressivität nach Alkoholmißbrauch. Selbstverständlich gab es auch den Mord oder Totschlag zur Befriedigung eigener finanzieller Engpässe. Selbst ein Fall im „kleinen Grenzverkehr“ konnte aufgeklärt werden. Zwei Fälle stehen außerhalb des Bildes, ein tatsächlicher Suizid, der als solcher zunächst nicht aufschien (Saalfeld, 1978), und ein tragischer Verkehrsunfall mit sechs Toten und mehreren Schwerverletzten (Jena, 1981). Zudem gibt der Autor bereits einleitend eine kurze Darstellung der Struktur der Kriminalpolizei im Bezirk Gera (S. 9f.) und abschließend der Zusammenarbeit mit dem Institut für Gerichtliche Medizin Jena.

Die Zuhörer der Lesungen und die Leser des Buches werden mit Interesse dem angekündigten zweiten Band entgegensehen.

Udo Hagner

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